WER WAREN DIE MÖRDER VON CHATYN?

ChatynHeute vor 75 Jahren, am 21. Juni 1941, überfiel das faschistische Deutschland heimtückisch und ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Überall wohin die deutsche Wehrmacht kam, hinterließ sie das blanke Entsetzen. Verbrannte Erde, Galgen und Berge von Leichen säumten ihren blutigen Weg. Ganz besonders hatte auch Weißrußland darunter zu leiden, wo die Partisanenbewegung besonders stark war. Während der Okkupation führten die Nazis auf dem Gebiet der Belorussischen Sowjetrepublik 140 große „Strafoperationen“ durch. Zynisch hatten die Nazis geplant, dreiviertel der Bevölkerung zu vernichten und den Rest der Einwohner dieses Landes zur Sklavenarbeit ins Deutsche Reich zu treiben. Das kleine Dorf Chatyn, vierzig Kilometer nördlich von Minsk, ist nur ein Ort von vielen, wo solches geschah. Am 22. März 1943 wurden hier von einem „Strafbatallion“ 149 Menschen, darunter 76 Kinder bestialisch ermordet. Ein einziger Mensch überlebte durch Zufall das Massaker.

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Chatyn ist der Rubikon. Es ist die Trennlinie zwischen menschlich und menschenverachtend, hinter der sich die Menschen in etwas verwandeln, wofür es keinen Namen gibt. Und ihre Opfer verwandeln sich in „Wanzen“, „Koloradokäfer“, „Wattejacken“. Es ist ein bedeutsamer sozialpsychologischer Grenzstein der Gesellschaft. Danach kann es schon nicht mehr so sein, wie früher. Danach ist es unmöglich, zu sagen: „Entschuldigung, wir haben uns geirrt“ oder „Entschuldigung, das haben wir nicht gewollt“.

 

Für Mord gibt es kein Verzeihen…

Sie wollten es. Und wie sehr sie es wollten! Sie wollten töten. Und sie wollten auch die Qualen sehen. Sie wollten sich an ihrer Kraft, ihrer Überlegenheit aufgeilen, sie wollten die Schwachen, die Unbewaffneten verhöhnen. So war es in Kiew auf Majdan, und so war es in Odessa am 2. Mai 2014, als die Banderafaschisten die Odessaer verbrannten, wie zu Hitlers Zeiten in Deutschland. Nach Chatyn ist nur noch das höchste Strafmaß möglich. Die Höchststrafe. Nach Chatyn 1943, ebenso wie nach Chatyn 2016.

Niemals vergessen!

„…Die blutige Tragödie dieser Waldsiedlung aus 26 Gehöften geschah am 22. März 1943. 149 Menschen, darunter 76 Kinder, fanden dort auf ewig ihr höllisches Grab. Alle, außer einem — Jossif Jossifowitsch Kaminski, der sich wie zufällig aus dem brennenden von Menschen überfüllten Schuppen retten konnte. Heute steht dort sein Denkmal, in Bronze gegossen und den toten Sohn auf den ausgestreckten Armen haltend. In diesen Händen liegt alles – seine Verzweiflung, die Tragik und auch der unendliche Lebenswille, der den Weißrussen die Kraft gab zu widerstehen. Und zu siegen.“ Das schrieb Wassil Bykow 1972 in seinem Artikel „Die Glocke von Chatyn“.

Brennende Menschen

Alle die friedlichen Bewohner – die Alten, die Frauen, die Kinder – wurden aus ihren Häusern herausgezerrt und in einen Schuppen des Kolchos getrieben. Dann legten die Angehörigen eines Strafkommandos des 118. Polizeibataillons um den Schuppen herum Strohballen, begossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Als die Wände begannen, Feuer zu fangen und einzustürzen, warfen sich brennende Menschen in ihrer brennenden Kleidung nach draußen. Dann schossen die Angehörigen des Strafkommandos mit ihren Maschinengewehre mitten in die Menge. Im Feuer und von den Geschossen kamen 149 Dorfbewohner ums Leben, darunter 75 Kinder im Alter von 16 Jahren und jünger. Das ganze Dorf wurde eingeäschert.

Ein Zeuge überlebt das Massaker

Wie durch ein Wunder hat ein Mensch überlebt: der 56jährige Dorfschmied Josef Kaminski. Erst spät in der Nacht kam er wieder zu Bewußtsein. Unter ihm der leblose Körper seines Sohnes. Der Junge war im Bauch schwer verletzt – und er starb auf den Händen seines Vaters. Es scheint, daß in Weißrußland, in der Ukraine und in Rußland es niemand gewagt hat zu vergessen, wer die Mörder von Chatyn waren.

Wer waren die Mörder von Chatyn?

101848846_3745438_376820838Viele Jahre lang waren die Listen der Verbrecher in der Presse ein sensibles Thema. Die Führung der UdSSR wollte die Sache nicht verschärfen. Die Hitlerfaschisten und alles das. Es wurde namentlich auch nicht berichtet, wer zu diesem 118. Bataillon gehörte. Die Führung hielt eine Sitzung ab zur Frage der beteiligten Polizisten, die Vernichtung der Menschen in Chatyn teilgenommen hatten, und man wollte das ukrainische Brudervolk damit nicht belasten. Aber die Informationen darüber begannen sich zu verbreiten. Es stellte sich heraus, daß die 118. Sondereinheit der Polizei 1942 in Kiew vorzugsweise aus ukrainischen Nationalisten, den Bewohnern der westlichen Gebiete gebildet worden war, die sofort einverstanden waren, mit den Nazis zusammenzuarbeiten. Sie waren zu einer Sonderausbildung nach Deutschland geschickt worden und schworen dort ihren militärischen Treueeid auf Hitler.

Mordkommando Dirlewanger

Am frühen Morgen des 22. März 1943 beschossen auf der Kreuzung von Pleschtschenizy-Logojsk und Kossyri-Chatyn die Partisanen der Abteilung „Mstitjelj“ einen leichten Kraftwagen. Das war nichts besonderes, ein gewöhnlicher Zusammenstoß mit deutschen Truppen im Hinterland. Doch in diesem Wagen befand sich der Kommandeur einer der Kompanien des 118. Bataillons der Schutzpolizei, Hauptmann Hans Welke, ein Schützling Hitlers, Olympiasieger von 1936.

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Der Mörder Wasjura

Die Partisanen zogen sich erfolgreich zurück. Doch dann rief die örtliche Polizei das eine Spezialeinheit, das Batallion des Sturmbannführers Oskar Dirlewanger zu Hilfe. Als die Deutschen aus Logojsk abfuhren, wurde von den ukrainischen Angehörigen eines Strafkommandos eine Gruppe örtlicher Waldarbeiter verhaftet und erschossen. Einfach so. Nur um irgendwie von sich reden zu machen. Und schon am 22. März fuhren die ukrainischen Angehörigen des Strafkommandos gegen Abend zum Dorf Chatyn. Einer von ihnen, derjenige, der auch die Ermordung der Zivilisten befehligte, war der Stabschef des 118. ukrainischen Polizeibataillons, der Nationalist Grigorij Wasjura.

Aus den Aussagen von Ostap Knap:

„Nachdem wir das Dorf eingekreist hatten, war der Dolmetscher Lukowitsch an der Reihe, die Menschen aus ihren Häusern der herauszuführen und sie an den Rand des Dorfes zum Schuppen zu führen. SS-Männer und unsere Polizisten erfüllten diesen Auftrag. Alle Bewohner, einschließlich die Alten und Kinder wurden in den Schuppen gestoßen, außen herum wurde Stroh ausgelegt. Vor dem verschlossenen Tor wurde ein Tafelmalereimaschinengewehr aufgestellt, dahinter lag, wie ich mich noch gut erinnern kann, Katrjuk. Dann zündeten Lukowitsch und irgendein Deutscher das Dach des Schuppens und das Stroh an. Nach einigen Minuten stürzte unter dem Andrang der Menschen die Tür ein, sie begannen, aus dem Schuppen ins Freie zu laufen. Da ertönt das Komando: ‚Feuer!‘ Und alle schossen auf die Menschen in der Umzingelung, unsere und die SS-Leute. Auch ich schoß auf den Schuppen.“

Aus den Aussagen von Timofej Toptschi:

„Hier standen 6 oder 7 geschlossene Fahrzeuge und ein paar Motorräder. Später hat man mir gesagt, daß es die SS-Männer aus dem Bataillon Dirlewanger gewesen seien. Es war ungefähr eine Kompanie. Aus wir aus Chatyn herausfuhren, sahen wir, daß aus dem Dorf irgendwelche Leute flüchteten. Unserer Maschinengewehrabteilung erhielt den Befehl, auf die Flüchtenden zu schießen. Als erster eröffnete Schtscherban das Feuer, aber sein Visier war falsch eingestellt und die Geschosse erreichten die Flüchtenden nicht. Meletschko stieß ihn zur Seite und legte sich selbst hinter das Maschinengewehr.“

Aus den Aussagen von Iwan Petritschuk:

„Mein Posten war Meter 50 m vom Schuppen entfernt, den unser Zug und die Deutschen mit Maschinenpistolen bewachten. Ich sah genau, wie aus dem Feuer ein 6jähriger Junge hinauslief, seine Kleidung brannte. Er lief ein paar Schritte und fiel dann, ein Geschoß hatte ihn erwischt. Einer der Offiziere, die in einer großen Gruppe an der anderen Seite stand, hatte ihn erschossen. Vielleicht Kerner oder Wassjura. Ich weiß nicht, ob im Schuppen viele Kinder waren. Als wir das Dorf verließen, war es schon niedergebrannt, es gab keine Lebenden mehr – es rauchten nur noch die verbrannten Leichen, große und kleine … Der Anblick war schrecklich. Ich erinnere mich noch, daß 15 Kühe aus Chatyn ins Bataillon mitgenomen wurden.“

Die Vernichtung von Chatyn hatte keinerlei praktischen Sinn. Die ukrainischen Nationalisten wollten einfach beweisen, daß sie eifrig und fleißig dem Hitlerregime dienten. Sie wollten Hitler beweisen, wie sie sich am Tod seines Günstlings gerächt hatten.

Dmitri Dsygowbrodski

(Übersetzung Florian Geißler)


Das 118. Polizeibataillon wurde Ende 1942 in Kiew gegründet. Es bestand aus angeworbenen sowjetischen Kriegsgefangenen, Verrätern und Kriminellen, die auf die Zusammenarbeit mit den Okkupanten eingegangen waren. Sie hatten in Sonderschulen in Deutschland eine Ausbildung erhalten, deutsche Uniformen angezogen und Hitler den Treueid geleistet. Nachdem sie diesen Schritt gemacht haben, verrieten sie ihre Heimat. In Kiew hat sich das Bataillon dadurch einen Namen gemacht, daß es mit grausamer Brutalität die Menschen in Babij Jar vernichtete. Das war die beste Voraussetzung, um sie dann nach Weißrußland zu schicken.
Das Bataillon kam in der Siedlung Pleschtschenizy an. An der Spitze jeder Polizeiabteilung stand ein deutscher Offizier, der seine Untergebenen führte. Der Führer des 118. Bataillons war Sturmbahnführer Erich Körner, und der Kompaniechef war Hauptmann Hans Welke. Hans Welke war 1936 Olympiasieger im Kugelstoßen geworden. Er war der erste Deutsche, der in dieser Sportart gewonnen hatte. Außer der Goldmedaille bekam Welke von Hitler den Offiziersrang verliehen. Als der Krieg ausbrach, kam Welke selbstverständlich nicht an die Ostfront. Seine eisernen Kreuze verdiente er sich im Hinterland. Sein letzter Posten war der des Kompaniechefs des 118. Bataillons. Er war auch derjenige, der von den Partisanen an der Wegekreuzung Pleschtschenizy-Logojsk und Kozyri-Chatyn vernichtet wurde.
Stabschef des 118. Polizeibataillons war Grigori Wasjura. Seine Brutalität kannte keine Grenzen, auch im Umgang mit seinen Untergebenen. Er nahm an mehrerer Strafoperationen teil, die das Leben vieler unschuldiger Menschen kostete.
Im November/Dezember 1986 fand in Minsk ein Prozeß gegen einen der Henker von Chatyn, Grigori Wasjura, statt. 14 Bände des Falls Nr.104 widerspiegelten viele Tatsachen der blutigen Tätigkeit dieses faschistischen Verbrechers. Nach dem Urteil des Kriegsgerichtes des Belorussischen Militärbezirks wurde Wasjura für die Verbrechen schuldig erklärt und zum Tode verurteilt.

© 2005 SGS „Chatyn“, http://khatyn.by/ (bearbeitet)

Quelle: Kommunisten-Online


Nachtrag: Heute befindet sich in dem Ort, der einst Chatyn war, eine Gedenkstätte für die Opfer der faschistischen Massenmorde. Während der Okkupationszeit führten die Nazis auf dem Territorium Weissrusslands 140 große Strafoperationen durch. Im Ergebnis der Besatzung wurden ganze Landstriche in totes Gebiet verwandelt. 5.295 Ortschaften wurden dem Erdboden gleichgemacht, darunter 628 Dörfer und Siedlungen — zusammen mit den Menschen. 270 weißrussische Städte haben die Nazis verbrannt und 209 völlig zerstört. Insgesamt kamen durch die Hände der Besatzer mehr als 2,2 Millionen Menschen ums Leben. 399.374 Menschen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert, davon kehrten nur und nur 124.267 Menschen kehrten in ihre Heimat zurück. 186 Dörfer haben aus der Asche nicht wieder aufgelebt. Und heute erinnern nur noch Obelisken und Gedenkstätten daran, daß hier einmal Menschen lebten, Felder bestellten, säten und ernteten, Kinder aufzogen und von der Zukunft träumten, die von den Nazis grausam ausradiert wurde. Wir werden hier an jeden erinnern, der in diesem höllischen Feuer verbrannte!

Siehe auch: https://www.jungewelt.de/2016/06-22/001.php

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