Dr. Gerhard Feldbauer (Historiker und Publizist, Poppenhausen)

Wie zur Einheit der Kommunisten kommen?
Rat bei den Klassikern suchen

Es ist unbestritten, dass wir in den auf uns zu kommenden sich verschärfenden Klassenkämpfen eine fest auf marxistisch-leninistischen Positionen stehende kommunistische Partei brauchen und das einheitliche Handeln der Kommunisten eine entscheidende Rolle spielen wird. Die Idee, um auf diesem Weg voranzukommen, eine „Kommunistische Initiative“ als Sammel- und Organisationspunkt zu bilden, scheint einleuchtend. Das umso mehr, wenn dabei ein „längerfristiger Prozess“ ins Auge gefasst wird, von einem „Schritt vorwärts“ die Rede ist, in dem „die Bedingungen für die Formierung einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei in Deutschland“ geschaffen werden sollen. Wie dieser Prozess vor sich gehen soll, bleibt meiner Meinung nach in dem Aufruf vage. Einige weitergehende Gedanken äußert Frank Flegel dazu in seinem Beitrag „Bedingungen und Möglichkeiten einer kommunistischen Initiative in Deutschland“ („offensiv“, H. 9/2008). Fest scheint mir zu stehen, dass gegenwärtig und wohl auch in naher Zukunft die Gründung einer von der Initiative angestrebten neuen kommunistischen Partei nur die in unserer kommunistischen Bewegung bestehende Spaltung vertiefen würde. Frank betont, an die ,,Bildung einer weiteren Splittergruppe“ sei nicht gedacht.

Soweit ich dem Aufruf entnehme, soll sich die Initiative aus einzelnen Persönlichkeiten zusammensetzen, die Leitungen bisher bestehender kommunistischer Parteien, in dieser Richtung agierender oder sich als solche definierender Organisationen, Zeitschriften und dgl. nicht erfassen. Es ist wohl auch nicht daran gedacht, sich bezüglich einer Teilnahme oder wenigstens an einem Meinungsaustausch an diese Vorstände, Leitungen etc. direkt zu wenden. Eine Ausnahme sollen hier wohl die KPD und die KPD (B) bilden. Die KPD will „einen Vertreter für die Belange der Kommunistischen Initiative benennen“. Ferner ist zu erfahren, dass KPD und KPD (B) Gespräche darüber führen, sich möglicherweise wieder zu vereinigen und das dann ein ,,gutes Signal“ dafür sein soll, dass die marxistisch-leninistische Einheit möglich ist.

Der Aufruf ist namentlich nicht unterzeichnet. Es heißt, dass ein Koordinierungsgremium ins Leben gerufen wurde, das in engem Kontakt mit den Unterstützern die nächsten organisatorischen Schritte für die Gründung der ,,Kommunistischen Initiative“ vorbereitet. Auch hier sind mir bisher keine Namen bekannt.

Die DKP wird in dem Aufruf zwar als „formal stärkste unter den kommunistischen Formationen“ anerkannt aber, wie bereits in der „offen-siv“-Debatte nach der Annahme des neuen Parteiprogramms, in einer Art und Weise attackiert, die dem Anliegen des Aufrufs zuwiderläuft. Wenn es heißt, die DKP trabe objektiv der Entwicklung der PDS/Linkspartei/Die Linke hinterher, so halte ich das einfach für eine verzerrte und überzogene Darstellung. Ich verweise dazu auf meine „Anregungen“ („offen-siv“ Nr. 1/2007), in denen ich mich dazu ausführlich geäußert habe. Ich wiederhole, dass man mit solchen verbalen Attacken bei der DKP-Basis, die im Allgemeinen kritischen Gesichtspunkten aufgeschlossen gegenüber steht, nicht ankommt.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Opportunismus wird der „Rotfuchs“ (RF) völlig ausgeklammert. Ich war vier Jahre Vorsitzender des Herausgebervereins der Zeitschrift und musste mich davon überzeugen, dass mit dessen Gründung in unsere kommunistische Bewegung die bis dahin tiefste Spaltung getragen wurde, und insbesondere RF-Chefredakteur Dr. Klaus Steiniger praktiziert Opportunismus in übelster Weise.[1] Wenn sich also, wie zu hören ist, Mitglieder des RF-Vereins an der „Kommunistischen Initiative“ beteiligen, dann meine ich, dass sie sich schon der Auseinandersetzung mit diesen Erscheinungen stellen müssen.

Die Niederlage des Sozialismus in Europa hat uns in nicht wenigen Fragen weit über ein Jahrhundert zurückgeworfen. An der Entwicklung in Italien, wo sich im vergangenen Jahr die 1991 aus der IKP (Italienischen Kommunistischen Partei) hervorgegangenen sozialdemokratischen Linksdemokraten mit einer katholischen Zentrumspartei vereinigten, wird deutlich, dass die Arbeiterklasse so sogar in ihre Ausgangspositionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeworfen worden ist. Denn mit diesem Fusionsprozess wurden alle auch nur annähernd sozialistischen Standpunkte aufgegeben und die Arbeiter der bürgerlichen Ideologie unterworfen, wurden zum Anhängsel einer großbürgerlichen und dazu noch katholisch beeinflussten Partei. Das bedeutet, dass wir uns, wenn auch unter veränderten Bedingungen und mit dem Wissen und den Erfahrungen des zurückgelegten Kampfes ausgestattet, mit ähnlichen Problemen der Spaltungserscheinungen, welche die sozialistisch-kommunistische Bewegung von Anfang an heimsuchten, heute auch in Deutschland konfrontiert sehen.

Wie bereits in meinen „Anregungen“ greife ich nochmals auf Marx‘s Kritik am Gothaer Programm, eingeschlossen Engels Vorwort vom 6. Januar 1891 [2] zurück und schlussfolgere daraus, dass das derzeitige DKP-Programm nicht als ein Gothaer Programm eingeschätzt werden kann. Unverändert halte ich im Wesentlichen für ausgewogen, was Arne Taube damals in

offen-siv 10/2006 zur DKP einschätzte: Dass das Programm wie die Partei als Organisation „eine Position markieren, die nur urteilen lässt, dass die Arbeiterklasse in der BRD heute de facto über keine Organisation verfügt, die so entschieden wie die DKP ihre Interessen vertritt: sie ist die größte Organisation der revolutionären Linken, besitzt vorerst eine in den Rudimenten noch immer revolutionäre Programmatik – wie mangelhaft sie gemessen an den Forderungen der Klassiker auch erscheint – und ist auf dem Gebiet der alten BRD zumindest teilweise recht gut gewerkschaftlich verbunden. Hieraus folgt, dass auch mit dem neuen Programm jedem Kommunisten weiterhin zu raten ist, in die DKP einzutreten (oder zumindest die Nähe zu suchen), sich dabei jedoch ihrer organisatorischen und programmatischen Schwächen bewusst zu sein.“

Marx und Engels stellten auch nicht die Aufgabe, die in Gotha entstandene Partei aufzugeben und eine neue, von revisionistischen Einflüssen freie revolutionäre Arbeiterpartei zu schaffen, sondern sie kämpften darum, „die richtige politische Linie in der deutschen sozialdemokratischen Partei“ durchzusetzen. [3] Trotz der opportunistischen Auswüchse des Gothaer Programms stellten Marx und Engels in den Vordergrund ihrer Wertung die Bedeutung der Herstellung einer einheitlichen Arbeiterpartei. Durch ihr energisches Auftreten gelang es in dieser Periode, die Opportunisten in der Partei zurückzudrängen und zu erreichen, dass das praktische Auftreten der Partei durch revolutionäre Aktionen bestimmt wurde. Sie kämpfte erfolgreich gegen das Sozialistengesetz und fand den richtigen Weg zu den Messen. [4] Wir können uns nicht auf die Einhaltung des Marxismus-Leninismus berufen und gleichzeitig im Wirken für kommunistische Einheit solch wichtige Erfahrungen, welche Marx und Engels uns dazu hinterlassen haben, ignorieren.

Man sollte vielleicht auch einmal nachlesen, wie Lenin prinzipiell aber der Situation entsprechend sowohl unter strategischen als auch taktischen Gesichtspunkten klug im Kampf gegen den mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges offen ausgebrochenen Opportunismus, darunter seiner schlimmsten Erscheinung, dem Sozialchauvinismus, auf der Zimmerwalder Konferenz im September 1915 und der im April 1916 in Kienthal vorging. Unter den teilnehmenden Sozialisten formierte er aus Internationalisten und revolutionären Marxisten (so seine Formulierung) die revolutionäre Zimmerwalder Linke. ,,Der Zusammenschluss der genannten Gruppe ist eine der wichtigsten Tatsachen und einer der größten Erfolge der Konferenz“, schätzte er ein. [5] Die Linke scheute sich nicht, in eine Tagung zu gehen, auf der die Gruppe der „schwankenden beinahe Kautzkyaner“ vertreten war und setzte sich mit ihnen entschieden auseinander. Dem Manifest der Tagung, das unter dem Einfluss der Kautzkyaner an „Inkonsequenz und Halbheit“ litt, stimmte die Zimmerwalder Linke, Lenin folgend, dennoch zu, weil es „faktisch einen Schritt vorwärts zum ideologischen und praktischen Bruch mit dem Opportunismus und Sozialchauvinismus“ darstellte.

Rat bei Lenin sollte man auch suchen, wenn es um heutige Erscheinungen des Zentrismus geht. Unter diesem Gesichtspunkt ist sicher die Haltung von Hans Heinz Holz zu sehen. Lenin billigte Gramscis Vorgehen, der vor der IKP-Gründung die Sozialistische Partei in eine revolutionäre umgestalten wollte und dabei nicht nur den Kompromiss einging, auf die Annahme des Namens Kommunistische Partei zu verzichten, sondern auch noch ein Bündnis der Kommunisten mit den Zentristen gegen die Reformisten suchte. [6] Wertvolle Erfahrungen vermittelt Gramscis sehr geduldiges Herangehen in den Jahren 1919/20 an die Schaffung einer revolutionären Arbeiter-, später Kommunistischen Partei. [7]

Der Aufruf verweist auf wertvolle Erfahrungen der griechischen KKE. Natürlich meine ich als Italien-Historiker, dass auch die Aktivitäten der italienischen Kommunisten Anregungen, Erfahrungen vermitteln können. Die Situation der kommunistischen Bewegung dort ist zwar zahlenmäßig von größeren Dimensionen gekennzeichnet, jedoch weitaus dramatischer als bei uns. [8] Als Ergebnis des vor allem reformistischen Kurses der Führung unter Fausto Bertinotti, haben sich vom PRC (Partei der Rifondazione Comunista – Kommunistischen Neugründung) in den letzten Jahren drei Gruppen abgespalten und eigene Parteien gebildet, die teilweise trotzkistischen Einflüssen unterliegen, im PRC selbst bestehen inzwischen fünf Strömungen, darunter die starke revisionistische Fraktion unter Bertlnotti/Vendola, die den PRC liquidieren und als lose Strömung in einer indifferenten Linkspartei aufgehen lassen will, und auf dem jüngsten Parteitag im Juli fast die Hälfte der Delegierten umfasste. [9] Um einen Ausweg aus der Misere zu finden, haben mehr als 100 führende kommunistische Persönlichkeiten, darunter Luciano Canfora und Domenico Losurdo [10] einen Appell verfasst, der „zur Erhaltung der kommunistischen Tradition wieder mit Hammer und Sichel“ aufruft, und nicht nur PRC und PdCI [11], sondern alle in verschiedene Gruppen aufgesplitterten kommunistischen Kräfte vereinigen will. [12] Losurdo, der zu der um die Zeitschrift „Ernesto“ versammelten marxistisch-leninistischen Strömung im PRC gehört, erklärte: Wir wollen „eine neue Phase des italienischen Kommunismus beginnen, eine konstituierende Phase“. [13] Er verwies gleichzeitig auf die „Selbständigkeit der Kommunisten“ als Voraussetzung einer linken Politik und von Bündnissen wie dem Regenbogen. Logisch, dass der führende kommunistische Philosoph Italiens und ausgezeichnete Gramsci-Kenner, betonte, „dabei müssen wir die kommunistischen Traditionen von Lenin bis Gramsci wieder aufgreifen“.

ANMERKUNGEN:

[1] vergleiche dazu ausführlich meine Beiträge in „offensiv“, Nr. 4 und 10/2006

[2] MEW, Bd. 19, S. 15 bis 32 und 521f.

[3] Ebenda, S. XI

[4] Ebenda, S. XIII

[5] Bd. 21, S. 389 ff.

[6] Bd. 30, S. 373 bis 385

[7] Um den Leser nicht mit italienischen Quellen zu belasten, darf ich auf meine „Geschichte Italiens…“, Papyrossa-Verlag, Köln 2008, S. 80ff. verweisen, in der auch in Deutsch vorliegende Werke Gramscis zurückgegriffen wird

[8] Die Mitgliederzahl des PRC wird auf noch etwa 90 000 geschätzt

[9] Siehe Beiträge des Autors „Zu den Ursachen der Niederlage der Kommunisten und Linken bei den Parlamentswahlen im April 2008 in Italien“, „offensiv“‚, Nr. 6/2008; „Vor der Bewährung“, in „jW“ vom 6. August 2008 sowie zur jüngsten fortschreitenden Entwicklung „Aus dem Rückzug in den Angriff‘, in „UZ“, 24. Oktober 2008.

[10] Eine kurze Charakteristik zu Luciano Canfora als auch Domenico Losurdo enthält der Beitrag in „offensiv“, Nr. 6/2008

[11] Das ist die KP, die sich vor den drei bereits angeführten schon 1998 vom PRC abspaltete, allerdings unter revisionistischen Vorzeichen, denen sich der PRC damals noch widersetzte, Ausführlieh in „offensiv“, H.6/2008.

[12] „jW“ veröffentlichte den Aufruf am 23. April 2008.

[13] Im Interview mit „jW“ vom 19./20. April 2008.

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