Zur revolutionären Umwälzung und Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaftsformation

Philosophie der Revolution

von Otto Finger (1973)

Einleitung [Teil IV]

[Auszug]

»Die Aktualität der marxistisch-leninistischen Lehre von der sozialistischen Revolution lässt sich nicht zuletzt an der anschwellenden Flut ihrer „Widerlegungen“ durch bürgerliche Ideologen und ihrer „Ergänzungen“ durch zeitgenössische Revisionisten und Renegaten ablesen. Die Zahl gegenrevolutionärer Konzepte ist Legion. Etwas, das überholt wäre, bedürfte dieses massenhaften gelehrten und ungelehrten, akademisch aufgeputzten oder auch platt agitatorischen Aufwandes nicht. –

Die imperialistische Ideologie, der zeitgenössische Antikommunismus und Antisowjetismus schießen aus allen Rohren gegen die marxistisch-leninistische Idee der kommunistischen Revolution, ihrer Notwendigkeit und objektiven Gesetzmäßigkeit. Kein Versuch ihrer Verfälschung ist zu ordinär und keine Anstrengung des bürgerlichen geisteswissenschaftlichen Begriffs zu subtil, um in den Dienst antirevolutionärer Ideologie gestellt zu werden.

Ein charakteristischer Zug der neueren reaktionären Ideenproduktion auf diesem Gebiet besteht darin, dass gegenrevolutionäre Ideologien im Gewande revolutionärer Phraseologie, auch in der Maskerade Marxscher oder Lenninscher Terminologie aufzutreten. Das plumpe, offen reaktionäre Nein zur Notwendigkeit, den Kapitalismus zu beseitigen, wird heute immer häufiger durch eine scheinrevolutionäre, auch scheinkommunistische Bejahung dieser Notwendigkeit abgelöst.

Aus dem Unbehagen an diesem oder jenem Symptom der Krisenhaftigkeit und Barbarei des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist längst und weitverbreitet eine tiefe Existenzangst bei den in diesem System lebenden Menschen geworden. Auch wer in den kapitalistischen Ländern nicht mit der marxistisch-leninistischen Theorie vertraut ist – und die imperialistische Bewusstseinsindustrie tut alles, um solches Vertrautwerden mit ihren unverfälschten Aussagen zu behindern – ahnt oder erfährt es bis zur Gewissheit: Dieser soziale Organismus, der von einer Handvoll Monopolkapitalisten beherrscht wird, ist faul bis an die Wurzeln. Von jedem Atemzug dieses imperialistischen Systems geht der Pesthauch der Menschenverachtung, der Aggressivität, der kulturellen Barbarei aus.

Auf den Schlachtfeldern zweier imperialistischer Weltkriege haben Millionen Menschen die ohnehin fragwürdigen Segnungen relativ friedlicher Entwicklungsphasen und kurzer Perioden der Prosperität des Kapitalismus mit dem Leben bezahlt. Die Marxsche These von der notwendigen Verelendung des arbeitenden Menschen im Kapitalismus hat sich hier in grausiger Weise bestätigt: Sie ist bis zur massenhaften physischen Vernichtung fortgeschritten. Der Kapitalismus hat sein historisches Maß erfüllt, ist längst reif für seine Ablösung. {…}« [Anmerkung zur Textauslassung: Der historische Realsozialismus wurde von den Folgen der bürgerlich-imperialistischen Konterrevolution abgelöst. Die entfremdet-idealistische Darstellung des Realsozialismus aus dem Frühjahr 1973 ist im Buch „Philosophie der Revolution“ in der „Einleitung“ nachzulesen; R. S.] Die emsige ideologische Betriebsamkeit auf dem Felde scheinrevolutionärer Konzepte »sollen den Einfluss des Marxismus-Leninismus, seine wachsende Autorität im geistigen und politischen Leben unserer Zeit abwehren und zugleich ein Ventil abgeben für den sich stauenden Widerwillen gegen den Fortbestand des imperialistischen Systems, gegen die sich ausbreitenden antikapitalistischen Stimmungen in der jungen Generation, gegen Protesthaltungen aller Art. Charakteristisch hierfür sind pseudomarxistische Ideen aus dem Umkreis der sog. kritischen Theorie der Frankfurter Schule, das Revoluzzertum marcusianischer Wirrköpfe, die verschiedenen Spielarten des Neoanarchismus und Neotrotzkismus. Die Vorstellungswelt des Amerikaners Charles Reich, dessen „The greening of America“ als so etwas wie der letzte Schrei „kritischen“ Denkens auch in Westeuropa verbreitet wird, gehört gleichfalls in diese Tendenz: Er versteigt sich bis zu der ebenso blödsinnigen wie bequemen Losung, dass die echte Revolution, auf die es ankomme und die bei den jungen Leuten schon angefangen habe, jene Bewusstseinsveränderung sei, die sich in ihrer Musik, in ihrer Kleidung, ihrer Haartracht, ja, auch im Drogengenuss manifestiere! [1973]

Unsere Studie kann selbstredend nicht versuchen, die marxistisch-leninistische Theorie der Revolution mit dem ganzen weitverzweigten Geflecht zeitgenössischer gegenrevolutionärer Ideologiebildung zu konfrontieren. Die Auseinandersetzung konzentriert sich auf ausgewählte Strömungen und berücksichtigt charakteristische Argumente des Sartreschen Existenzialismus, der „kritischen“ Theorie Adornos und Horkheimers sowie des Adornoschülers A. Schmidt, auch des Strukturalismus von Sebac. Es geht uns weniger darum, Lehrmeinungen etablierter bürgerlicher Schulphilosophen zu widerlegen als vielmehr übergreifende philosophisch-ideologische Linien gegenrevolutionären Denkens zu treffen, auch deren Umsetzungen in den Vorstellungen von Publizisten zu verfolgen, die keine Philosophen von Profession sind. So kommen im 1. Kapitel eine Reihe bürgerlicher Wissenschaftler zu Wort, deren kapitalismuskritische Haltungen in restauratives Denken umschlagen, weil ihre Verhaftung an die Normen bürgerlicher Ideologie die Ausbildung wirklich kritischer, den sozialökonomischen Nerv des Imperialismus treffender Ideen ausschließt.

Als übergreifende weltanschauliche Tendenzen direkt antirevolutionären und auch scheinrevolutionären Denkens hebt unsere Studie diese beiden heraus: Es ist der Zug zum überhistorischen Anthropologismus und zu einem soziologisch und psychologisch aufgefüllten subjektiven Idealismus. Beide Linien sind vielfältig ineinander verschränkt und bilden nach unserer Auffassung einen dominierenden Grundzug des weltanschaulichen Denkens in der gegenwärtigen Phase des Krisenbewusstseins der imperialistischen Ideologie überhaupt. Ihr gegenrevolutionäres politisches Wesensmerkmal drückt sich philosophisch vorrangig in den beiden genannten Tendenzen aus. –

Möglichkeit oder Unmöglichkeit von sozialem Fortschritt und ebenso Notwendigkeit oder Überflüssigkeit der Revolution werden in der gegnerischen Ideologie von heute bevorzugt als ein Problem des Menschen, seiner Triebstruktur, seines Verlustes an ethischer Substanz, seiner Entfremdung von Natur und Technik, seiner Irrationalität usf. diskutiert. Aller reale sozialökonomische und Klasseninhalt, der die genannten und viele ähnliche Fragen der Ethik, der Psychologie, des politischen Handelns in letzter Instanz bestimmt, verflüchtigt sich zur anthropologischen Spekulation.-

Subjektiver Idealismus bildet heute die philosophische Plattform, um eine fundamentale These des Marxismus-Leninismus infrage zu stellen: die These, dass auch die Geschichte unserer Zeit wie die Geschichte aller Epochen von den werktätigen Volksmassen gemacht wird, dass die Arbeiterklasse die Hauptkraft unserer Epoche ist und ihr die Führungsrolle in revolutionären Umwälzungsprozess des Kapitalismus zukommt.

Wir wollen zeigen, dass eine ganze Reihe zeitgenössischer Gegenthesen philosophisch auf den falschen Prämissen einer subjektiv-idealistischen Geschichtsauffassung beruhen und dass sie die objektiven Entwicklungsprozesse moderner Produktion – die Verwandlung der Wissenschaft in eine unmittelbare Produktivkraft und Folgen der wissenschaftlich-technischen Revolution – bürgerlich-ideologisch verallgemeinern. In vielen der Theoreme, gegen die diese Studie polemisiert, lässt sich unschwer der politisch-ideologische Standpunkt und die sozialpsychologische Mentalität des kleinbürgerlichen Intellektuellen, die durchaus subjektivistische Aufblähung seiner eigenen Hirnproduktion zur höchsten „kritischen“ und gar auch revolutionären historischen Instanz erkennen.

Obzwar die gegenwärtige bürgerliche Marxismusinterpretation sich längst nicht mehr nur darauf konzentriert, den jungen Marx so zu verfälschen, dass er als Kronzeuge beliebiger antimarxistischer Thesen missbraucht werden kann – die Marxfälschung hat sich in den sechziger Jahren zunehmend als Präludium der Leninfälschung entpuppt –, bilden die Werke aus der Periode der Herausbildung des Marxismus nach wie vor einen höchst lebendigen Gegenstand des ideologischen Klassenkampfes. Nicht zuletzt deshalb, weil im Prozess der Formierung des dialektischen und historischen Materialismus und der wissenschaftlichen Revolutionstheorie der Arbeiterklasse Karl Marx und Friedrich Engels Schritt für Schritt jenes Gedankenmaterial kritisch überwanden, das zu den heute wieder bevorzugten Quellen antirevolutionären und scheinkommunistischen Denkens gehört. Das gilt für Feuerbachs Anthropologie ebenso wie für den subjektiven Idealismus des Junghegelianismus, das Urbild heutiger „kritischer Theorie“. Und es gilt dies auch für den kleinbürgerlichen Reformsozialismus und Utopismus Proudhons sowie den Individualismus und Anarchismus Max Stirners. Im Scheinradikalismus heutiger anarchistischer Gruppen werden die politischen und philosophischen Ideen beider wiederbelebt. Die Marxsche und Engelssche Kritik an den Originalen trifft den theoretischen und ideologischen Kern ihrer heutigen gegenrevolutionären – insbesondere auch antisowjetischen und antileninistischen Kopien. Unsere Studie will dies an einigen Knotenpunkten der theoretischen Entwicklung verdeutlichen.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die philosophischen Grundlagen der Theorie der sozialistischen Revolution, der Materialismus und die Dialektik. Die Darstellung verfolgt die Knotenpunkte jenes theoretischen Entwicklungsgangs, in welchem sich auf diesem philosophisch-theoretischen und methodologischen Fundament die Lehre von der sozialistischen Revolution der Arbeiterklasse aus ersten, noch ganz abstrakten Ansätzen zu immer konkreteren politischen Bestimmungen entfaltet.

Es ist die Überzeugung des Verfassers, dass der Materialismus nicht eine unter anderen Seiten dieser Lehre und ihres weltanschaulichen ganzen bildet, sondern die entscheidende theoretische Voraussetzung aller marxistisch-leninistischen Einsichten in die Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Revolution ist.

Indem Karl Marx und Friedrich Engels den Materialismus auf die Geschichte ausdehnten, die soziale Realität des Kapitalismus auf dem Standpunkt proletarischer Parteilichkeit untersuchen, gelang ihnen nicht allein die Schaffung der materialistischen als der ersten wissenschaftlichen Geschichtsauffassung, sondern auch die Neubegründung der Dialektik als einer ebenso wissenschaftlichen wie kritisch-revolutionären Denkweise. Der Formierungsprozess der neuen Geschichtsauffassung und ihrer revolutionären politischen Doktrin ist so von Anbeginn Entwicklungsprozess einer materialistisch-dialektischen Gesellschaftstheorie.

Es gibt keine einzige philosophische Frage im Materialismus-Leninismus, die nicht hinführen würde zu seinem Kernpunkt, eben der sozialistischen und kommunistischen Umwälzung aller vorgefundenen Verhältnisse als gesetzmäßiges Resultat des Klassenkampfes der Arbeiterklasse.

Der innere Zusammenhang zwischen materialistisch-dialektischer Philosophie und revolutionärer Politik, zwischen Ideologie und Klassenkampf überhaupt bildet darum eine Leitlinie der ganzen Darstellung. Der Autor [O. F.] versucht die Verbindungen aufzuweisen, die sich zwischen dem Thema der Revolution und solchen in philosophischer Arbeit untersuchten Verhältnissen herstellen wie den folgenden: der Beziehung zwischen materiellen und ideellen Verhältnissen, objektiven Bedingungen und subjektiven Faktoren, ökonomischen Gesetzen und bewusstem Handeln, Theorie und Praxis. Es versteht sich von selbst, dass ein großer Umkreis von Gesetzesaussagen und Kategorien des historischen Materialismus behandelt werden: Arbeit, Arbeitsteilung, gesellschaftliche Produktion, Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse, Klassen, Klassengegensätze, Klassenkampf, Basis und Überbau, Spontanität und Bewusstheit sind einige der fundamentalen Begriffe der materialistischen Geschichtsauffassung, die anhand der Klassikerquellen dargestellt und gegen heutige bürgerliche Verfälschung und revisionistische Verwässerung verteidigt werden.

Desgleichen werden solche Fragen behandelt, wie die nach dem Platz der frühmarxistischen Entfremdungstheorie im Gesamt der wissenschaftlichen Weltanschauung [Weltaneignung], nach der marxistisch-leninistischen Idee der Humanität und realen Freiheit, der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Der Hauptakzent ihrer Untersuchung liegt dabei stets auf dem Nachweis der Tatsache, dass ihr wissenschaftlicher und ihr revolutionär-ideologischer Gehalt unabdingbar an den materialistisch-dialektischen und proletarisch-parteilichen Boden gebunden sind, aus dem heraus Karl Marx und Friedrich Engels sie entwickelt haben. Die Herausbildung der Theorie der sozialistischen Revolution untersuchen, das heißt zugleich an den politischen und philosophischen Kern der materialistisch-dialektischen Entwicklungsauffassung stoßen. Denn sie schließt notwendig Antworten auf solche weltanschaulichen Fragen ein wie die nach Wesen und Triebkräften gesellschaftlichen Fortschritts, nach gesetzmäßigen Bedingungen, subjektiven Faktoren und objektiven Kriterien der sozialen Höherentwicklung und ihrer revolutionären Umschlagspunkte.

Imperialistische Ideologen verkünden bald die Ewigkeit des Kapitalismus, bald auch fälschen sie den Untergang dieses Systems in den Untergang der Menschheit um. Tatsächlich bedeutet das Ende des Kapitalismus nicht das Ende der sozialen Entwicklung, sondern den Untergang einer historisch überlebten Klasse, der Bourgeoisie. Ihr Untergang fällt zusammen mit dem Aufstieg der Arbeiterklasse.

Die in diesem Buch dargestellten Erkenntnisse der Klassiker des Marxismus-Leninismus machen genau diesen weltgeschichtlich notwendigen Entwicklungsprozess zur wissenschaftlichen Gewissheit.

Die Studie stellt die philosophischen Grundlagen und die politischen Grundfragen der Theorie der Revolution anhand der Klassikerquellen dar. Die Konzeption dieser Darstellung stützt sich insbesondere auf die Leninschen Grundsätze der Analyse der Philosophiegeschichte, speziell seiner Arbeiten zur Marxismusgeschichte selbst (so etwa auf Lenins Marxbiographie, seine Arbeit „Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus“ und andere Schriften). Entscheidende Anregungen verdankt das Buch der sowjetischen Philosophiegeschichtsschreibung, insbesondere den Arbeiten T. I. Oisermans und M. T. Jowtschuks.

Meinen auf philosophiehistorischem Gebiet arbeitenden Kollegen Gerd Irrlitz und Friedrich Richter sei gedankt für die zahlreichen produktiven Anregungen beim Zustandekommen des vorliegenden Buches.« – »Berlin, im Frühjahr 1973«

[Ein modifizierter Auszug.]

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl. Einleitung.

21.08.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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