Karl Marx über „Strikes und Arbeiterkoalitionen“

Von Otto Finger

Der Industriekapitalismus erzeugt die objektiven Voraussetzungen für einen wesentlichen subjektiven Faktor der sozialistischen Revolution, nämlich die Organisiertheit der Arbeitermassen. Die objektive Grundlage hierfür liegt in der Konzentration des Proletariats im Gefolge der Konzentration der Produktionsmittel. Triebkraft dieser Organisiertheit, in der die Konkurrenz der Arbeiter untereinander überwunden wird, ist der Klassenkampf. Die „Deutsche Ideologie“ vermerkt hierzu, zur Vereinigung einer jeden gesellschaftlichen Gruppe zur Klasse, zum Weg vom „Ansichsein“ zum „Fürsichsein“ der Klasse: „Die einzelnen Individuen bilden nur insofern eine Klasse, als sie einen gemeinsamen Kampf gegen eine andere Klasse zu führen haben; im übrigen stehen sie einander selbst in der Konkurrenz wieder feindlich gegenüber.“ [1/52]

Eine Konkretisierung dieses Zusammenhangs zwischen der Konfrontation des Proletariats gegen die Bourgeoisie und dem proletarischen Klassenkampf einerseits und der Herausbildung der festen Klassenvereinigung der Proletarier andrerseits entwickelt Marx im „Elend der Philosophie“. Karl Marx kritisiert dabei eine falsche Grundkonzeption sowohl der bürgerlichen Ökonomie (eingeschlossen diejenige Proudhons) als auch der utopischen Sozialisten (der Fourieristen und Owenisten). Die von Marx kritisierten Argumente gegen die Koalitionen der Arbeiter, gegen ihre Vereinigung zum Zwecke von Lohn- und Streikkämpfen berühren auch den politisch-ideologischen Nerv arbeiterfeindlicher Demagogie von heute. Die bürgerlichen Ökonomen würden den Arbeitern raten, sich nicht zu vereinigen. Sie würden dadurch den „regelmäßigen Gang“ der Industrie hemmen, den Handel stören, das Eindringen der Maschinen beschleunigen, die einen Teil der Arbeit überflüssig machen und dadurch noch niedrigere Löhne bedingen. Man dürfe sich nicht gegen die „ewigen Gesetze“ der politischen Ökonomie auflehnen. Die utopischen Sozialisten würden den Arbeitern von Koalitionen abraten, weil selbst die mit ihrer Hilfe erkämpften Lohnerhöhungen draufgingen, um die Kosten für den Aufbau und die Erhaltung dieser Organisationen zu bestreiten. Im übrigen aber würden die Arbeiter mit den Koalitionen Politik treiben. Dies aber sollten sie nicht tun. Marx fasst diese Standpunkte so zusammen: „Die Ökonomen wollen, dass die Arbeiter in der Gesellschaft bleiben, wie dieselbe sich gestaltet hat und wie sie sie in ihren Handbüchern gezeichnet und besiegelt haben. Die Sozialisten wollen, dass sie die alte Gesellschaft beiseite lassen, um desto besser in die neue Gesellschaft eintreten zu können, die sie ihnen mit so vieler Vorsorge ausgearbeitet haben.“ [2/53]

Ersteres ist die offene Apologie des Kapitalismus. Die Profitinteressen der Kapitalisten, die in der Tat durch Streik- und Lohnkämpfe beeinträchtigt werden, erscheinen hier als eherne Gesetze, als unabänderliche Ordnung, deren Störung die ganze Gesellschaft in Unordnung brächte. Auch heute noch dominiert diese ideologische Form ndes Kampfes der Bourgeoisie gegen den gewerkschaftlichen Widerstand der Arbeiter gegen die Ausbeutung. –

Die letztgenannte, utopisch-sozialistische Argumentation gegen die Koalitionen der Arbeiter findet sich in den verschiedensten Varianten neoanarchistischer Konzepte wieder. Auch sie lassen „die alte Gesellschaft“ beiseite, um desto besser in die neue Gesellschaft eintreten zu können. In diesem „Beiseitelassen“ der alten Gesellschaft steckt die ideologisch-theoretische Wurzel der anarchistischen Form der Apologie des Kapitalismus.

Die marxistisch-leninistische Lehre differenziert scharf zwischen politischem, durch die Partei geführtem und ökonomischen, durch die Gewerkschaften geführtem Kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Keineswegs aber achtet sie den ökonomischen Kampf gering. Vielmehr wertet sie ihn als eine historisch notwendige Voraussetzung für den politischen Kampf.

Ein erster entscheidender Beleg hierfür ist Marx’ „Elend der Philosophie“. Karl Marx entwickelt darin entscheidende Ansätze für die von Lenin umfassend ausgearbeitete Konzeption vom unaufhörlichen Zusammenhang beider Kampfformen, vom schließlichen Primat des politischen Kampfes und von der Notwendigkeit, den ökonomischen in den politischen hinüberzuführen. –

Hierfür also, für die Fähigkeit der Partei der Arbeiterklasse, ihren ökonomischen Kampf auf die politische Entwicklungsstufe emporzuheben. Liefern die Konfrontationen der vereinigt um bessere Lebensbedingungen kämpfenden Arbeiter mit dem Kapital objektive Bedingungen. Der ökonomische Kampf zeitigt selbst die Tendenz, in den politischen hinüberzuwachsen. In ihm nämlich kommt es mit der Verteidigung der gemeinschaftlichen Interessen aller Arbeiter dazu, dass sie sich als Klasse zusammenschließen, zur Klasse „für sich selbst“ werden:

Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf. [3/54]

Diesen Vorgang der Bildung der Proletarier zur politisch kämpfenden Klasse aus den Streiks, Lohnkämpfen, Koalitionen hält Karl Marx in den Hauptmomenten fest. Dabei wird klar, dass es nicht zuletzt die Vereinigung des Kapitals auch zum Zwecke des gezielten Vorgehens, der gezielten „Repression“ gegen die Arbeiter ist, die deren Vereinigung zur objektiven Notwendigkeit macht:

… Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes – Koalition. So hat die Koalition stets einen doppelten Zweck, den, die Konkurrenz der Arbeiter unter sich aufzuheben, um dem Kapitalisten eine allgemeine Konkurrenz machen zu können. Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maß, wie die Kapitalisten ihrerseits sich behufs der Repression vereinigen zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie als die des Lohnes. Das ist so wahr, dass die englischen Ökonomen ganz erstaunt sind zu sehen, wie die Arbeiter einen großen Teil ihres Lohnes zugunsten von Assoziationen opfern, die in den Augen der Ökonomen nur zugunsten des Lohnes errichtet wurden. In diesem Kampfe – ein veritabler Bürgerkrieg – vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkte angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an.“ [4/55] –

Das generelle revolutionstheoretische Fazit aus den bis dahin nicht nur politisch-ökonomisch begriffenen Widerspruchsverhältnissen des Kapitalismus, sondern auch aus den Klassenkämpfen innerhalb dieser Ordnung, speziell aus der objektiv notwendigen Tendenz des Umschlags des ökonomischen in den politisch-revolutionären Klassenkampf gibt Karl Marx am Schluss seiner kritischen Analyse des Utopismus und Reformismus Proudhons in den Sätzen an:

Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist.

Inzwischen ist der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie ein Kampf von Klasse gegen Klasse, ein Kampf, der, auf seinem höchsten Ausdruck gebracht, eine totale Revolution bedeutet. Braucht man sich übrigens zu wundern, dass eine auf den Klassengegensatz begründete Gesellschaft auf den brutalen Widerspruch hinausläuft, auf den Zusammenstoß Mann gegen Mann als letzte Lösung?

Man sage nicht, dass die gesellschaftliche Bewegung die politische ausschließt. Es gibt keine politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre.

Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein. Bis dahin wird am Vorabend jeder allgemeinen Neugestaltung der Gesellschaft des letzte Wort der sozialen Wissenschaft stets lauten:

,Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder das

Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt.’

George Sand“. [5/56]«

Anmerkungen

1/52 Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 54.

2/53 K. Marx, das Elend der Philosophie, in: K. Marx / F. Engels, Werke, Bd. 4, Berlin 1959, S. 179.

3/54 Ebenda, S. 180f.

4/55 Ebenda, S. 180.

5/56 Ebenda, S. 182.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 6.7. Marx über „Strikes und Arbeiterkoalitionen“, in: 6. Kapitel: Proletarischer Klassenkampf, politische Machteroberung und revolutionäre Partei der Arbeiterklasse.

Nachtrag

Der marxistisch-leninistische Philosoph stellt in dieser Monographie die Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie dar und setzt sich mit gegenrevolutionären Ideologien der Gegenwart auseinander.

Mit wissenschaftlicher Akribie, an Hand der Texte der Klassiker des Marxismus-Leninismus, den Gedanken bis in das Detail folgend, entwirft er das Bild der Voraussetzungen und Ausgangspunkte des Marxschen und Engelsschen Denkens, charakterisiert er ihre Entwicklung von revolutionären Demokraten zu wissenschaftlichen Kommunisten, zeichnet er den Werdegang des historischen Materialismus und speziell eines Kernstücks der marxistisch-leninistischen Philosophie, der Theorie der Revolution.

Das Werk gibt auf aktuelle weltanschaulich-philosophische Fragen Auskunft. Es nimmt zu wesentlichen Streitpunkten der ideologischen Auseinandersetzung Stellung. Verfälschungen der Gedanken der Klassiker des Marxismus werden ebenso gründlich entlarvt wie idealistische Spekulationen über die Zukunft des Spätkapitalismus (- analog: “Soziale Marktwirtschaft“ – ‘Sozialismus nationaler Prägung’ usw.) und offene Apologie der imperialistischen Wirklichkeit.

Der Verteufelung der zukünftigen kommunistischen Gesellschaftsformation, den ideologischen Attacken – offen imperialistischer wie „linker“ und rechtsrevisionistischer Spielart – setzt der Autor die positive Darstellung der marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis entgegen.

23.04.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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