Rechtsradikalismus in Politik und Gesellschaft – in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Militanter Antikommunismus in neonazistischen Jugendorganisationen der BRD
Von Frank Scheffel [1971]
»In den Referaten und in den Diskussionsbeiträgen auf dieser Konferenz wurde gezeigt, dass der Antikommunismus in den verschiedensten Varianten auftritt und dass dabei auch der militante, offene und brutale Antikommunismus das Bild der politischen Landschaft in der BRD mit prägt.
In einem Flugblatt, das vom CSU-Freundeskreis Köln herausgegeben wurde, wird u. a. verkündet: „Strauß will ein starkes Deutschland … will ein Europa, aber ein antisowjetisches … Wir erstreben eine Raumordnung wie vor 1914 … Die Bundeswehr soll eine national ausgerichtete Streitmacht werden, das Offizierskorps wartet auf den starken Mann.“
Das hier propagierte reaktionäre Programm passt genau in das Bild der Auftritte von Kiesinger, Barzel und Strauß auf dem letzten Parteitag der CDU und auch der CSU sowie zu den Auftritten von Revanchistenverbänden und zu ähnlichen Ereignissen der jüngsten Zeit.
Der sich verstärkende Antikommunismus ist ein Ausdruck dafür, dass sich auch unter der SPD/FDP-Regierung am Wesen des imperialistischen Systems in der BRD nichts geändert hat, dass der militante Antikommunismus ursächlich mit der Konzentration ökonomischer und politischer Macht in den Händen der reaktionärsten Kreise des Monopolkapitals, mit der Herausbildung des militärisch-industriellen Komplexes zusammenhängt.
Diese reaktionären Kräfte treten als entschiedene Gegner der europäischen Sicherheit auf, als Feinde jeglicher Entspannungspolitik und der Regelung der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR auf völkerrechtlicher Grundlage. Mit allen Mitteln versuchen sie, die Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau zu verhindern.
Es ist offensichtlich, dass sich die SPD/FDP-Regierung von diesen Rechtskräften nicht distanziert. Sie unterstützt damit die Positionen einer offenen imperialistischen Ideologisierung des gesellschaftlichen Lebens in der BRD, die Verbreitung eines antikommunistischen und antisowjetisch ausgerichteten Nationalismus. Dieses Verhalten erklärt sich in erster Linie aus der antikommunistischen Grundhaltung der rechten SPD-Führung und kommt unter anderem darin deutlich zum Ausdruck, dass bis heute keinerlei Maßnahmen gegen die Umtriebe offen neonazistischer Parteien und Organisationen ergriffen worden sind.
Mehr noch, auch unter der SPD/FDP-Regierung werden nach wie vor solche neonazistischen Parteien und Organisationen wie die NPD, die „Deutsche Volksunion“, die Revanchistenverbände sowie eine größere Anzahl neonazistischer, militaristischer und nrevanchistischer Jugendorganisationen, Studenten- und Schülerbünde am Leben erhalten, wird eine Reihe dieser Organisationen staatlich finanziert. So erhält z. B. die „Deutsche Jugend des Ostens“ (DJO) – die Jugendorganisation der Revanchistenverbände – offiziell aus dem Bundeshaushalt jährlich 200.000 DM; berücksichtigt man darüber hinaus jene beträchtlichen finanziellen Zuschüsse von den Ländern, Städten und Gemeinden, so fließen ihr Millionen zu.
Mit der Schaffung und Unterstützung solcher Jugendorganisationen, in deren Ideologie und Politik der Antikommunismus in seinen extremen Formen anzutreffen ist, setzt der Imperialismus der BRD eine alte Tradition des deutschen Imperialismus und Militarismus kontinuierlich fort. Da die Schule zur Vergiftung der Jugend mit imperialistischer Ideologie nicht „ausreicht“, haben sich die imperialistischen Ideologen schon immer des Mittels bedient, rechte Jugendorganisationen zu installieren, die die Jugend demagogisch verführen und sie für die Expansions- und Aggressionspolitik des Imperialismus mobilisieren und dabei zwingen, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln.
In diesem Sinne wirkte vor dem ersten Weltkrieg der „Jugenddeutschlandbund“ unter einem kaiserlichen Generalfeldmarschall und vor dem zweiten Weltkrieg die „Hitlerjugend“ unter einem faschistischen „Reichsjugendführer“.
Heute steuern die Führer des berüchtigten „Witiko-Bundes“ und der sogenannte „Freundeskreis für die volkstreue Jugend“ die verschiedenen Organisationen und Gruppen neonazistischen Charakters.
Während der Staatsapparat in der BRD das Treiben neonazistischer Organisationen – wie z. B. der berüchtigten „Aktion Widerstand“ – duldet und unter Polizeischutz stellt, lässt er vielfach in brutaler Art Polizei gegen die antifaschistisch-demokratischen Kräfte in der BRD-Jugend vorgehen, wird der antiimperialistische Kampf unterdrückt. Deutlich wird die Unterstützung neonazistischer Organisationen auch durch den Versuch von Innenminister Genscher, in seinem vor dem Bundestag abgegebenen Bericht über die Tätigkeit rechtsextremer Gruppen [1] diese als gesellschaftliche Randerscheinungen zu bagatellisieren. Wenn er lediglich die Existenz von 9 derartigen Jugend- und Studentenorganisationen mit etwa 800 Mitgliedern zugab, so muss demgegenüber festgestellt werden:
• Presse, Rundfunk und Fernsehen der BRD haben über die Existenz einer ganzen Reihe weiterer offen neonazistischer Organisationen berichtet.
• Die Existenz bedeutender militaristischer und revanchistischer Jugendorganisationen in der BRD wurde im Bericht überhaupt nicht erwähnt. Allein die DJO zählt über 150.000 Jugendliche und Kinder in ihren Reihen, [- 1971 -] wobei nachweislich von diesen reaktionären Verbänden viel breitere Kreise erfasst werden als nur die eingeschriebenen Mitglieder.
• Auch in den letzten Monaten kam es an verschiedenen Orten der BRD zu Neugründungen und Zusammenschlüssen rechtsextremer Jugendorganisationen, darunter auch von neonazistischen Schülerbünden.
Die in der BRD existierenden neonazistischen Jugendorganisationen lassen sich in 3 Gruppierungen einteilen:
1. Gruppen, die offen neonazistisch sind und eine extrem nationalistische Phraseologie verfechten. Dazu gehören solche Organisationen wie der „Bund Heimattreuer Jugend“, die „Jungen Nationaldemokraten“, die „Volkstreue Jugend“, das „Arbeitskomitee Deutsche Einheit“, der „Republikanische Studentenbund“, der „Nationaldemokratische Hochschulbund“, der „Freiheitliche Schülerbund“, die „Europäische Befreiungsfront“, um nur einige zu nennen.
2. Militaristische Gruppen, die sich vor allem um die „Soldaten- und Traditionsverbände“ gruppiert haben. Vor allem seien hier genannt: der „Deutsche Jugendbund Kyffhäuser“, der „deutsche Jugendbund Steuben“, die „Stahlhelm-Jugend“, die „Adlerjugend“.
3. Jugendverbände der Landsmannschaften, bei denen der Revanchismus besonders ausgeprägt ist. Neben der „Deutschen Jugend des Ostens“, dem „Ostpolitischen Deutschen Studentenverband“ und den Jugend- und Studentenorganisationen der einzelnen Landsmannschaften gehören auch solche Organisationen dazu wie die „Aktion katholischer landsmannschaftlicher Jugend im BDKJ“, die „Junge Ackermann-Gemeinde“ u. a. m.«
Einigendes Band aller neonazistischen Jugendorganisationen ist der militante Antikommunismus
»Einigendes Band aller neonazistischen Jugendorganisationen ist der militante Antikommunismus. Er äußert sich gegenwärtig [1971] vor allem in der Hetze gegen bestimmte realistische Positionen der Ostpolitik der Bundesregierung, in wütenden Attacken gegen die Ratifizierung der Verträge UdSSR – BRD und Volksrepublik Polen – BRD, gegen das vierseitige Abkommen über Westberlin und die Vorbereitung eines Vertrages zwischen der ČSSR und der BRD.
So identifizierte sich die DJO in ihrem Bundesorgan „Der Pfeil“ mit der Auffassung, mit den Verträgen seien bereits „Mittel- und Ostdeutschland“ an die Sowjetunion „verschenkt“ worden, woraufhin „bald auch Westdeutschland nachfolgen“ werde. Der Vertrag von Warschau habe Millionen „ins Herz getroffen“ [2]. Die Bundesgruppe der DJO hetzte, das deutsche Volk habe „gegenüber den Völkern der UdSSR und Polens Ansprüche auf Rückgabe deutscher Gebiete anzumelden“ [3]. Die „Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde“, eine katholische Gruppierung innerhalb der sudetendeutschen Revanchisten, stellte den Vertrag zwischen der UdSSR und der BRD mit dem Münchner Schanddiktat von 1938 auf eine Stufe. [4] In Stuttgart forderte der „Deutsche Nationalbund“, ein Zusammenschluss neonazistischer Oberschüler, unter deutlicher Anspielung auf die Ostpolitik der SPD/FDP-Regierung „die Bestrafung von deutschen, die gegen die Lebensinteressen ihres Volkes verstoßen“ [5].
Damit wird zugleich deutlich, dass der militante Antikommunismus sich nach innen als Praxis der politischen Unterdrückung demokratischer Kräfte, als Anwendung von Methoden der Gewalt und des Terrors auswirkt.
Die militaristischen Jugendorganisationen wie der „Deutsche Jugendbund Steuben“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendliche der BRD, die „sich im Netz marxistischer und klassenkämpferischer Parolen verstrickt (haben) und ihr Heil im roten Lager eines östlichen Sozialismus sehen“, zu bekämpfen. [6] Die neonazistische Jugend wendet sich gegen die Aufhebung des widerrechtlichen KPD-Verbots, fordert seine Anwendung gegen die DKP, gegen die SDAJ und den marxistischen Studentenbund. Sie bewirft progressive Vertreter der Jungsozialisten, der Jungdemokraten und anderer Verbände mit übelstem politischen Schmutz.
In seiner brutalsten Form offenbart sich der militante Antikommunismus schließlich in den Morddrohungen und Gewaltanwendungen gegen junge Antifaschisten und Demokraten in der BRD. In einem Flugblatt ruft die bewaffnete Terrororganisation „Europäische Befreiungsfront“ offen zum politischen Mord auf, wenn sie verkündet: „Wir bedienen uns des letzten politischen Mittels, der Liquidation … Wir geben hiermit den Auftakt für eine Aktionskette, die die Befreiung Deutschlands von der kommunistischen Brut zur Folge haben wird.“ [7]
So enthüllen sich deutlich die reaktionären politischen Funktionen dieser neonazistischen Vereinigungen. Sie erfüllen die Funktion eines politischen Druckmittels nach außen und innen. Indem sie sich in der Öffentlichkeit als „Stimme des Volkes“ ausgeben, welche sich gegen eine als „Verrat“, „Verzicht“, „Ausverkauf nationaler Interessen“, „Kapitulation“ usw. diffamierte Politik der SPD/FDP-Regierung wendet, und indem die meisten dieser Organisationen und Gruppen in der „Aktion Widerstand“ wirksam werden, passen sie Strauß, Barzel, Thadden und Zoglmann ins politische Konzept.
Sie erfüllen die Funktion eines politischen Ferments, indem sie den Antikommunismus, der in verschiedener Form in den meisten westdeutschen Jugendorganisationen seit eh und je vorhanden ist, weiter anheizen. Dabei begegnen sie sich vor allem mit den rechten Kräften in der Jungen Union, der Sportjugend und in einigen Gliederungen der konfessionellen Verbände.
Sie freuen sich über die von dem bürgerlichen Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Walter Jaide in seinen Untersuchungen festgestellte Tendenz, dass sich faschistische Züge im Denken der Mehrheit der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren, die in der Berufsausbildung der BRD stehen, nachweisen lassen. Sie versuchen, diese Tatsache für die Verstärkung ihres Einflusses auszunutzen. Das Organ der „National-Revolutionären Jugend“ schreibt, dass „dieses Potenzial an gesunder, unverbrauchter, gutwilliger deutscher Jugend auch politisch mobilisiert werden“ müsse „gegen die Verderber des Volkes, gegen die Zerstörer des Vaterlandes“ [8].
Und schließlich erfüllen die neonazistischen Jugendorganisationen die Funktion einer Kaderschmiede und „Elite“bildung. So sind aus ihren Reihen viele Führungskräfte der Bundeswehr wie auch der Revanchistenverbände hervorgegangen. Die DJO und verschiedene andere dieser Organisationen und Gruppen bezeichnen sich in ihren Satzungen selbst als „Ausleseorganisation“ oder „Eliteorganisation“ und richten ihre Mitglieder in diesem Sinne ab.
Selbstverständlich werden mit dem veränderten Kräfteverhältnis in der Welt auch die neonazistischen Jugendorganisationen, Schüler- und Studentenbünde konfrontiert. Immer deutlicher müssen die Führungskräfte dieser Organisationen und Gruppen erkennen, dass sie durch die wachsende Ausstrahlungskraft des Sozialismus häufig in eine Isolierung gegenüber der Jugend in der BRD geraten. Die extremsten Gruppen der „jungen Rechten“, die sich vornehmlich um die „Aktion Widerstand“ zusammengerottet haben, versuchen deshalb mit Terror und zunehmender Gewaltanwendung gegen die fortschrittlichen Kräfte in der BRD die politische Landschaft wieder zugunsten der ultrareaktionären Kräfte des Imperialismus zu verändern. Davon zeugen solche Aktionen wie die Schüsse auf den Wachposten am sowjetischen Ehrenmal in Westberlin, bewaffnete Provokationen an der Staatsgrenze der DDR, Überfälle auf Büros fortschrittlicher Organisationen, auf junge Antifaschisten.
Andere neonazistischen Jugendorganisationen versuchen dagegen, nach außen jetzt „gemäßigter“ zu erscheinen, sich der drohenden Isolierung durch eine gewisse Anpassung zu entziehen. Wenn z. B. die DJO teilweise solche Töne anschlägt wie „Verständigung mit den politischen Nachbarn“ oder „von einem für alle Völker annehmbaren Ausgleich“ faselt, von einer „partnerschaftlichen Begegnung mit der osteuropäischen Jugend“ [9], so wird deutlich, dass auch diese Organisationen bestrebt sind neue Wege zu finden, um ihren Einfluss zu erhalten bzw. auszubauen, ohne auch nur einen Abstrich an ihrer prinzipiellen politischen Aussage zu machen. Ausdruck der Anpassung ist auch, wenn Führer neonazistischer Jugendorganisationen, die vorher betont deutsch-nationalistisch auftraten, heute die Demagogie eines „deutschen nationalen Sozialismus“ verbreiten.
Die Geschichte lehrt, dass der Vormarsch des Sozialismus weder mit antikommunistischer Demagogie noch mit brutaler Gewalt und Terror aufzuhalten ist.
Es ist aber auch eine historische Wahrheit, dass die Kräfte des militanten Antikommunismus, je mehr sie in die Enge getrieben werden, versuchen, mit Gewalt aus dieser Enge auszubrechen. Deshalb ist nach wie vor im Interesse der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in Europa höchste Wachsamkeit gegenüber dem Treiben der neonazistischen Kräfte in der BRD geboten. Immer wieder ist es notwendig, den militanten Antikommunismus als Zentrum einer friedensfeindlichen Ideologie und Politik zu entlarven.«
Anmerkungen
1 Vgl. „JW-Dienst“, Wiesbaden, Nr. 11/0852 vom 20.4.1971.
2 Vgl. „Der Pfeil“, Bonn, Nr. 1/1971, S. 3.
3 Vgl. „Der Pfeil“, Bonn, Nr. 10/1970, S. 5.
4 Vgl. „der Pfeil“, Bonn Nr. 2/1971, S. 14.
5 Vgl. „Jugendnachrichten“, München, Heft Juli-August 1971, S. 5.
6 Vgl. „Soldat im Volk“, Februar 1971, S. 12.
7 „Berliner Extradienst“, Westberlin, Nr. 13/1971.
8 „JW-Dienst“, Nr. 9/0252 vom 8.9.1971.
9 „Jugendpolitischer Dienst“, Adenau, Folge 889/1971, S. 2.
Quelle: Pädagogik gegen Antikommunismus. Die marxistisch-leninistische Pädagogik – eine streitbare Waffe im Kampf gegen den Antikommunismus. Volk und Wissen. Volkseigener Verlag Berlin 1972. –
Materialien der gemeinsamen Konferenz der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR und der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der UdSSR zum Thema: „Der Kampf gegen den Antikommunismus in der Schulpolitik und Pädagogik des Imperialismus – eine grundlegende Aufgabe der marxistisch-leninistischen Pädagogik“, vom 16. bis 18. November 1971 in Berlin. –
Vgl. F. Scheffel: Militanter Antikommunismus in neonazistischen Jugendorganisationen der BRD. / Frank Scheffel: Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralrat der FDJ.
25.02.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)