RAINER RUPP

 
 
Laut amerikanischen Generälen hat dem atlantischen Bündnis und dem Westen insgesamt kein Spion mehr Schaden zugefügt als Rainer Rupp – Agent der «Stasi» im NATO-Hauptquartier.
 
Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Annexion der DDR gerieten alle Archive der Hauptverwaltung „A“ (Dienst der Außenaufklärung) des Ministeriums der Staatssicherheit der DDR („Stasi“) in die Hände der westdeutschen Geheimdienste. Viele Mitarbeiter von Markus Wolf, der über 30 Jahre den besten Aufklärungsdienst der Welt leitete und der Moskau mit den strenggeheimen Informationen aus allen westlichen Zentren, darunter auch aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel, versorgte, wurden hinter Gitter geworfen. Zweifellos war das Informationsleck aus dem heiligen Tempel der westlichen „Demokratie“ den westlichen Diensten bewusst. Es begann die „Bearbeitung“ der ehemaligen Mitarbeiter der „Stasi“ sowohl mit Gestapo- als auch mit amerikanischen Mitteln; ihnen wurden unglaubliche Summen Geld und absolute Sicherheit im Austausch gegen Namen angeboten. Aber die Mitarbeiter des DDR-Aufklärungsdienstes bewahrten sogar trotz entzogener Freiheit, Arbeitslosigkeit und fehlender Mittel zum Überleben ihr Schweigen. Doch Verräter fanden sich – nicht nur in Moskau. Der Militäranalytiker der Hauptverwaltung „A“, Oberst Heinz Busch, nannte den operativen Decknamen des bei der NATO arbeitenden Aufklärers – „Topas“ – sowie seine innere Registrierungsnummer in der Kartei des Ministeriums der Staatssicherheit der DDR.
 
NATO-Dienste brauchten noch drei Jahre, um die Datenbanken der „Stasi“ zu entschlüsseln. Aber das reichte auch nicht. Das fehlende Glied war eine Diskette mit der Liste der Agenten, die während der Evakuierung der DDR-Archive verschwunden war. Der ehemalige General des MfS der DDR Ralf-Peter Devaux verkaufte sie ihnen für 1,5 Millionen Dollar. Diese Liste enthielt die Namen von Rainer Rupp und seiner Ehefrau Ann-Christine Bowen und ihre operativen Decknamen „Topas“ und „Türkis“ wurden benannt. Sie wurden in dem Elternhaus von Rainer Rupp in Saarburg am 30. Juli 1993 verhaftet.
 
Im Buch „Die Stasi-Geheimnisse“ wird Rainer Rupp zitiert: „Ich fühlte, dass die Schlinge um mich herum immer enger wird. Aber es gab keine Möglichkeit zu fliehen. DDR und die Sowjetunion existierten nicht mehr. Gorbatschow und Jelzin haben den schwerkranken Erich Honecker an den Westen übergeben. Es gab keine Hoffnung, dass man mich mit Samthandschuhen anfassen würde. Ich konnte meine alten Eltern und meine Ehefrau mit den Kindern nicht dem Schicksal überlassen. Es blieb nur, an das Schicksal zu glauben und zu warten. Deswegen habe ich die Verhaftung ruhig aufgenommen.“*
 
Jedoch trotz der ausgeklügelten Verhöre und langer Monate in Einzelhaft konnte man den Agenten nicht beugen. Das Urteil des Gerichts war ausgesprochen hart – zwölf Jahre Gefängnis. Zu 22 Monaten Gefängnis wurde seine Ehefrau Ann-Christine verurteilt, die im britischen NATO-Department diente – einen Teil ihrer Schuld nahm Rupp auf sich.
 
 
Zur Geschichte des Kundschafters Topas
 
Ende der 60er Jahre brodelte es in Düsseldorf wie in ganz Europa – die Jugend demonstrierte. Einmal setzte sich ein sympathischer Mann, der sich als Kurt vorstellte, zu einer Studentengruppe hinzu. Während er am Bier nippte, hörte er aufmerksam zu, worüber die Studenten diskutierten. Sie diskutierten über die Politik, Probleme des Kapitalismus, Vietnamkrieg, über den stärker werdenden Neonazismus. Besondere Aufmerksamkeit des Unbekannten zog Rainer Rupp auf sich, der behauptete, dass in der Bundeswehr wie auch in der BRD-Regierung die ehemaligen Nazis säßen. Derselbe General Reinhard Gehlen, der während Hitlers Zeiten die operative Aufklärung an der sowjetisch-deutschen Front leitete, leitete jetzt den Bundesnachrichtendienst (BND). Kurt rief die Bedienung und bestellte noch eine Runde Bier. Während er am Gespräch teilnahm, heizte er geschickt die Diskussion an. Kurt war nicht nur einverstanden mit den Studenten, er äußerte noch radikalere Meinungen, von denen die jungen Menschen begeistert waren. Er gefiel dem Rainer – sie wurden Freunde.
 
Bei einem der folgenden Treffen sagte Kurt: „Ich vertrete einen der Geheimdienste der DDR, du hast es dir bestimmt schon gedacht. Wir brauchen solche Leute wie dich. Du hast ein gutes Köpfchen, dein Wirtschaftsdiplom hast du fast schon in der Tasche, plus noch zwei Fremdsprachen. Das ist, was man braucht, um zu versuchen, ins NATO-Stabquartier zu kommen. Dafür musst du einen Job in einer der Banken in Brüssel bekommen, aber zuerst machst du bei uns eine Schulung durch“.
 
Die Romantik des Aufklärungsdienstes packte Rainer. Gleichzeitig mit dem Lehrgang in einer der Spezialschulen der „Stasi“ macht er einen ausgezeichneten Universitätsabschluss und zog um nach Paris, wo er ein Studium an der Sorbonne begann. Drei Jahre später, als die Führung des Bündnisses ein Jobangebot für eine der analytischen Abteilungen veröffentlichte, beschloss Rupp, sein Glück zu probieren. Und er hatte Glück. Ein gut gebildeter Deutscher mit einer tadellosen Biographie war der einzige unter 70 Kandidaten, der die NATO-Leitung zufrieden stellte. Es spielte auch eine Rolle, dass Rainer mit einer Engländerin, Tochter eines hochrangigen Diplomaten, verheiratet war.
 
So kam er am 15. Januar 1977 als Mitarbeiter einer politischen Abteilung und dann auch eines Situationszentrums ins Zentrum der strategischen Planung der NATO.
 
„Ich war in alle Aspekte dieses Prozesses eingeweiht und alle geheimen Informationen gingen über meinen Tisch“, erzählt Rainer Rupp. „Zu meinen Aufgaben gehörte es, diese strenggeheimen Informationen zu lesen und zu analysieren. Es ist überflüssig zu sagen, dass die Kopien davon sofort die „Stasi“-Führung bekam und dann, über die geheimen Kanäle, auch Moskau. Es gab so viele Geheimnisse, dass meine Ehefrau hineingezogen werden musste. Genau wie ich hatte sie linksradikale Ansichten“.
 
Es wurde so eingerichtet, dass sie zur Sekretärin des Leiters der Britischen Verwaltung des NATO-Generalsekretariats wurde. Fast jeden Arbeitstag fünf Jahre lang kam sie mit einer Tasche nach Hause, die voll mit Dokumenten war. Keiner der Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung kam auf die Idee, dass die junge hübsche Lady eine Spionin war.
 
Das, was Ann-Christine in ihrem Täschchen nach Hause brachte, nahm Rainer mit seiner „Minox“ auf. Die Filme versteckte er in einer Bierdose mit doppeltem Boden und übergab sie sofort einem Boten. Die Verbindung mit ihm erfolgte über einen Transistor, der auf eine bestimmte Kurzwellfrequenz eingestellt war. Zwölf Jahre lang wussten Moskau und Ost-Berlin über alles, was NATO-Generäle planten, Bescheid.
 
Besonders niederschmetternd wurde für die NATO das Leck des streng geheimen Dokumentes M-161, das auf Basis der Informationen erstellt wurde, die die westlichen Aufklärungsdienste „hinter dem eisernen Vorhang“ gesammelt hatten. Jährlich spiegelten sich hier alle Schlussfolgerungen und Bewertungen von 40 NATO-Kommissionen über den Zustand der UdSSR und der Länder des Warschauer Paktes wider. Wegen diesem Dokument hatten Moskau und Berlin (DDR) ein vollständiges Bild darüber, was der NATO bekannt war und wo sie ihre Vorteile, Schwachstellen und besonders verwundbare Punkte sahen.
 
„Militärexperten sagten während meiner geschlossenen Gerichtsverhandlung, dass im Falle der Atomkrise meine Tätigkeit eine entscheidende Bedeutung für den Kriegsablauf hätte haben können. Sie wussten nicht, dass die Russen auch die Pläne der NATO-Stabsübung „Wintermanöver“ besaßen, die von der Bündnisleitung alle zwei Jahre durchgeführt wurde. Dort wurden die Pläne der Atomschläge auf die UdSSR und die Länder des Ostblocks geübt. Darüber hinaus erfuhr Moskau durch mich alle Einzelheiten des Programms SDI (ein Luftabwehrsystem mit den Elementen der Weltraumstationierung, der sogenannte „Star Wars“ – A.V.)“.
 
Rainer Rupp schaffte es, über zehntausend Kopien der streng geheimen Dokumente nach Moskau zu übergeben. Diese Dokumente bestimmen auch heute viele Aspekte der Verteidigungsstrategie Russlands.
 
Nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, wurde er zum Redakteur der Zeitung „Junge Welt“. In seinen Artikeln positioniert er sich gegen die „Strafoperation“ der Ukraine gegen das Donbass und gegen die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland, die er als „die größte Dummheit, Karneval der Scheinheiligkeit“ und „Unterstützung der Massenvernichtung der Menschen im Osten der Ukraine“ bezeichnet.
 
Am 21.September wurde der „Superagent des 20. Jahrhunderts“ 70 Jahre alt.
 
Nachträglich alles Gute zum Jubiläum, Rainer!
 
* Rückübersetzung aus Russisch.
 
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