Mit einem Besuch in Indien hat sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier um die Stärkung der deutschen Beziehungen zu einem potenziellen Rivalen Chinas bemüht. Steinmeier hielt sich seit Samstag in New Delhi auf, um die ökonomische und die politische Kooperation zu intensivieren. Ökonomisch geht es vor allem darum, mit Blick auf die anhaltende Eurokrise und die Einbrüche im Russland-Geschäft alternative Absatzchancen für deutsche Unternehmen zu schaffen. Darüber hinaus zielt Berlin auf eine enge Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Militärpolitik, die die Einbindung Indiens in das westliche Bündnissystem stützen würde. Der neue indische Ministerpräsident Narendra Modi, der wegen antimuslimischer Ausfälle seiner Partei und wegen seiner Rolle bei Pogromen im Jahr 2002 scharf kritisiert wurde, verstärkt gegenwärtig die außen- und militärpolitische Kooperation mit Japan und Australien, die wiederum als zentrale Verbündete des Westens im Pazifikgebiet gelten. Australien nähert sich der NATO an, Japan verschärft seinen Konflikt mit der Volksrepublik China.
“Zumindest indirekt ermutigt”
Der Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Indien ist sein erster nach dem jüngsten Regierungswechsel in New Delhi, der Ministerpräsident Narendra Modi von der Bharatiya Janata Party (BJP), die als hindunationalistisch eingestuft wird, an die Macht gebracht hat. Modi ist wegen der antimuslimischen Positionen seiner Partei und insbesondere wegen seiner Rolle bei Pogromen im Jahr 2002 höchst umstritten. Die Pogrome hatten sich entzündet, als beinahe 60 hinduistische Pilger in einem Zug verbrannten; bei Racheakten gegen die muslimische Minderheit, der die Brandstiftung an dem Zug angelastet wurde, wurden über 1.000 Menschen ermordet sowie Zehntausende vertrieben. Die Pogrome seien “mit zumindest indirekter Ermutigung” der damals von Modi geführten Regierung des indischen Bundesstaates Gujarat vonstatten gegangen, “obwohl Modi selbst gerichtlich keine Beteiligung nachgewiesen werden konnte”, berichten Experten.[1] Seit der Regierungsübernahme seiner BJP mehren sich erneut Berichte über eine zunehmende antimuslimische Agitation. Modi war nach den Pogromen von 2002 mit Einreiseverboten in die USA und in EU-Staaten belegt worden.
Großzügig
Hätte Berlin all dies gegenüber missliebigen Staaten ohne weiteres zum Anlass genommen, auf die eine oder andere Weise Druck auf sie auszuüben, so sieht es gegenüber New Delhi großzügig darüber hinweg. Ursache ist das Bemühen, Indien politisch enger an Deutschland und die EU zu binden. Dies hat Gründe, die einerseits in der Ökonomie, andererseits in der Weltpolitik liegen.
Noch nicht ausgelastet
Ökonomisch ist die Bundesregierung zur Zeit besonders bemüht, der deutschen Exportwirtschaft neue Absatzchancen zu erschließen. Das gilt ungeachtet des Ausfuhrrekords vom Juli dieses Jahres, der gestern bekanntgegeben wurde: Erstmals hat die deutsche Wirtschaft Güter im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro in nur einem Monat exportiert. Der Rekord steht allerdings auf wackligen Füßen. Die Eurokrise schwelt nach wie vor [2]; der wichtige Handel mit Russland bricht gravierend ein [3]; zwar hat China im ersten Halbjahr 2014 seine Käufe in der Bundesrepublik wieder um elf Prozent gesteigert, doch hat die Beinahe-Stagnation des deutschen Chinahandels im vergangenen Jahr klar gemacht, dass die Volksrepublik ihre Einfuhren aus Deutschland nicht zwingend immer weiter steigern wird. Indien gilt als auch nicht annähernd ausgelasteter Markt: Bei einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden Menschen importierte es im ersten Halbjahr 2014 Waren im Wert von lediglich 4,15 Milliarden Euro aus Deutschland – nicht einmal ein Achtel der chinesischen Einfuhr aus der Bundesrepublik. Wirtschaftskreise weisen darauf hin, dass in den nächsten zehn Jahren mit einem starken Wachstum der indischen Mittelschicht und mit entsprechend steigendem privatem Konsum zu rechnen sei.[4] Potenzial zur Exportsteigerung ist aus Berliner Sicht also da.
Eurofighter für Indien
Außenminister Steinmeier hat sich gestern nicht nur allgemein um eine Steigerung der deutschen Exporte bemüht, sondern auch um ein spezielles Geschäft: um den Auftrag für die Lieferung von Militärjets an Indien. New Delhi hat schon vor Jahren angekündigt, 126 Kamfflieger kaufen zu wollen. Die Bundesregierung hatte sich massiv für den Eurofighter eingesetzt, der von einem Konsortium mit deutscher, britischer, italienischer und spanischer Beteiligung gebaut wird. 2012 hatte sich die indische Regierung jedoch für die französische Rafale entschieden. Jetzt heißt es, die neue Regierung von Narendra Modi überlege es sich eventuell noch einmal anders. Das tief in der Krise steckende Frankreich verlöre, käme es tatsächlich zu einer Neuentscheidung, einen Auftrag in Höhe von rund acht Milliarden Euro oder sogar mehr; das wäre ein schwerer Schlag für Paris und ein weiterer Beitrag zur Umverteilung von Wirtschaftskraft und Wohlstand innerhalb der EU.[5] Schon im Juni, kurz nach dem Amtsantritt der Regierung Modi, waren Berichten zufolge deutsche Regierungsvertreter in New Delhi vorstellig geworden; sie hatten, um den Eurofighter erneut ins Spiel zu bringen, den Preis für die Rafale um eine beträchtliche Summe unterboten. “Wir glauben, dass das Eurofighter-Konsortium ein gutes Angebot gemacht hat, und wir unterstützen es”, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt in einem Interview mit der indischen Zeitung “The Hindu”.[6]
Begehrter Partner
Stärker als die ökonomischen fallen gegenwärtig allerdings die weltpolitischen Interessen ins Gewicht. Das riesige Land Indien besitzt ein gewaltiges Machtpotenzial – mit einer wachsenden Bevölkerung von zur Zeit 1,2 Milliarden Menschen, einem Wirtschaftswachstum, das es bis zum Jahr 2050 zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nach China und den USA machen könnte, nicht zuletzt auch mit seinen Nuklearwaffen. Strategisch gilt es als möglicher Rivale Chinas; das macht es für den Westen zu einem begehrten Partner. Gegenwärtig ist es um eine eigenständige Position in der Weltpolitik bemüht; es kooperiert mit China, Russland, Brasilien und Südafrika im Rahmen der “BRICS”, die kürzlich eine “Entwicklungsbank” und einen eigenen Währungsfonds gegründet haben und damit den westlich dominierten Institutionen Weltbank und IWF Konkurrenz machen. Fachleute weisen allerdings darauf hin, dass die zunehmende ökonomische Abhängigkeit von der Volksrepublik und bis heute bestehende Grenzstreitigkeiten zu Spannungen führen, die der Westen nutzen kann, um New Delhi weiter auf seine Seite zu ziehen.
Politisch Richtung Westen
Dabei messen manche Beobachter dem gegenwärtigen Zeitpunkt eine beträchtliche Bedeutung bei: Ministerpräsident Modi werde womöglich eine aktivere, aggressivere Außenpolitik betreiben als seine Amtsvorgänger, heißt es. Tatsächlich deuten seine ersten Auslandsreisen darauf hin. Letzte Woche hat Modi mit den Regierungschefs Japans und Australiens ausführliche Gespräche geführt. In Tokio vereinbarte er eine enge außen- und sicherheitspolitische Kooperation, die unter anderem regelmäßige Treffen der Vize-Außen- und der Vize-Verteidigungsminister sowie gemeinsame Marinemanöver zur Kontrolle von Seewegen umfassen soll. Japan positioniert sich in jüngster Zeit scharf gegen China. Bei einem Besuch des australischen Ministerpräsidenten Tony Abbott in New Delhi wurden kurz darauf indisch-australische Marinemanöver vereinbart. Beide Staaten hätten “gemeinsame Interessen an einem fortgesetzten US-Engagement in der Region”, schrieb Abbott in einem Namensartikel in der Zeitung “The Hindu”.[7] Australien hat beim NATO-Gipfel letzte Woche seine Beziehungen zum westlichen Kriegsbündnis gestärkt; im Establishment des Landes wird gegenwärtig ein NATO-Beitritt diskutiert. Mit dem Ausbau seiner Beziehungen zu Japan und Australien nähert sich Indien immer stärker dem westlichen Bündnissystem an – auch militärisch.
Bündnisbildung
Auch die Beziehungen Indiens zu Deutschland, zu deren Pflege Außenminister Steinmeier nach New Delhi gereist ist und um deren Intensivierung sich Berlin seit Jahren bemüht (german-foreign-policy.com berichtete [8]), umfassen außen- und militärpolitische Elemente. “Beide Seiten” seien “für eine Intensivierung des sicherheitspolitischen Dialogs und Gedankenaustauschs”, hieß es etwa in der “Gemeinsamen Erklärung zur Weiterentwicklung der strategischen und globalen Partnerschaft zwischen Deutschland und Indien”, die im April 2013 bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen in Berlin verabschiedet wurde; “beide Seiten” verliehen “ihrem nachhaltigen Interesse Ausdruck”, auch “die Zusammenarbeit im Verteidigungssektor durch Dialog und Austausch in Fragen von gemeinsamem Interesse, auch bei der Zusammenarbeit im Bereich Verteidigungstechnologie, auszubauen”.[9] Die Berliner Bündnisbildung mit Blick auf künftige Konflikte in Ost- und Südostasien schreitet langsam, aber stetig voran.
[1] Joachim Betz, Sandra Destradi, Daniel Neff: Wahlen in Indien 2014: Mandat für den Wandel. GIGA Focus Asien Nr. 6/2014.
[2] S. dazu
Unter der deutschen Rute (II).
[3] S. dazu
Die Allianz der Bedrohten.
[4] Indiens aufstrebende Mittelschicht. www.gtai.de 27.02.2014.
[5] Kommt Megadeal mit Indien jetzt doch? www.tagesschau.de 08.09.2014.
[6] “Germany, India Strategic Partners with Excellent Economic Relations”. The Hindu 07.09.2014.
[7] Tony Abbott: India and Australia: Ties that bind. www.thehindu.com 05.09.2014.
[8] S. dazu
Am Indischen Ozean,
Chinas Gegenspieler und
Offensiven gegen China (I).
[9] Gemeinsame Erklärung zur Weiterentwicklung der strategischen und globalen Partnerschaft zwischen Deutschland und Indien. Berlin, 11. April 2013.