Die kapitalperverse Absurdität kennt keine Grenzen:
Hartz IV-Gesellschaft und Sozialdarwinismus 2005 bis 2011?
Bezug: Zweistufige Hartz-Erhöhung: Erst fünf, dann drei Euro.*
Vor und kurz nach der Jahrhundertwende (um 1900) erreichte der Sozialdarwinismus in Deutschland seine aggressivste, brutalste und reaktionärste Stufe, die schließlich in die verbrecherische Ideologie des Faschismus einmündete.
Das Interesse der Bourgeoisie am Sozialdarwinismus offenbarte sich in einem Preisausschreiben, das Alfred Friedrich Krupp anonym als ein “ungenannt bleibender Gönner der Wissenschaft” veranstaltete. (Siehe H.E. Ziegler: Die Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S.XIII.)
Das Thema von A. F. Krupps Preisausschreiben lautete: “Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Bezug auf die innerpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?”
Von den etwa 60 eingegangenen Arbeiten erhielt W. Schallmayers Buch “Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker” den 1. Preis. Auch für W. Schallmayer galt, “dass die Auslese die Bedingung für jeden Fortschritt ist”.
Alfred Friedrich Krupps Sozialdarwinist W. Schallmayer zitiert in seinem Buch folgendes Loblied auf die sozialdarwinistische Auslese: “Und wir können bei dieser Betrachtungsweise nur ahnen, wie verwickelt das ganze gesellschaftliche Getriebe ist, in dem sich menschlicher Verstand gar nicht zurechtfinden würde, in welchem aber die natürliche Auslese sozusagen ‘blind’ doch den Weg findet, der für die gesamte Spezis ‘Mensch’ zu den vorteilhaftesten Ergebnissen führt {…} wie unendlich fein, wie wunderbar ist das genau abgestufte Walten dieser Gesetze!” (Bei W. Schallmayer zitiert nach: O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, Jena 1895, S. 25.)
Ausgehend von ihren pseudowissenschaftlichen Prinzipien haben die Sozialdarwinisten alle beliebigen Erscheinungen der kapitalistischen und imperialistischen Gesellschaft als Resultate des Waltens von Naturgesetzen, als “naturgemäß” hingestellt:
– Die soziale Ungleichheit der Menschen: denn “alle soziale Gliederung und Ordnung” habe der Auslesemechanismus aus der “natürlichen Ungleichheit physischer und geistiger Eigenschaften” der Menschen geschaffen. (L. Woltmann: Politische Anthropologie, S. 192.) “Der untere Stand {…} stellt {…} nur den Bodensatz dar, aus welchem die wertvollsten Bestandteile herausdestilliert sind”, behauptete Ammon. (In: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 65.) Der Sozialdarwinist Ammon pries die Klassenteilung als Wohltäterin der Menschheit: “Die Ständebildung setzt das Werk der natürlichen Auslese beim Menschen fort und begründet eine natürliche Züchtung.” (In: O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung …)
– Der erbarmungslose kapitalistische und imperialistische Konkurrenzkampf wurde von den Sozialdarwinisten als Auslesemechanismus dargestellt und der monopolistische Konzentrationsprozess als sein Ergebnis: “Im Wachstum eines großen Geschäftsunternehmens drückt sich lediglich das Überleben der Tauglichsten aus {…} Das ist keine üble Tendenz im Business. Es ist bloß die Äußerung eines Natur- und eines göttlichen Gesetzes”, schrieb Rockefeller. (Zit. in: I. S. Kon: Der Positivismus in der Soziologie, Berlin 1968, S. 38.)
– Auch rechtfertigten die Sozialdarwinisten die Eroberung fremder Territorien, die Ausrottung oder Ausbeutung sozialer Schichten und Völker als “das Recht der stärkeren Rassen, die niederen zu vernichten”, denn: “Der Mensch gehört ebenso gut zur Natur wie Pflanze und Tier, und die Natur kennt ein Erbarmen nicht.” (A. Tille: Volksdienst, Berlin/Leipzig 1893, S.27/28.)
Alfred Friedrich Krupps 1. Preisträger, W. Schallmayer, war selbst die Kindersterblichkeit, die er für 1875 mit 10 bis 25 Prozent (unterschiedlich nach sozialen Ständen) angab, noch nicht hoch genug, und der ‘1. Preisträger’ Krupps verteufelte die Fortschritte bei der Geburtshilfe, der Säuglingspflege und der Kinderernährung. Durch diese Fortschritte, so behauptete Schallmayer, werde sich zum Beispiel, “die Zahl an Frauen erhöhen, deren Brüste zum Stillen untauglich sind”.
(Siehe W. Schallmayer: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S.148ff.) [1]
*) Bezug: Bericht in der Frankfurter Rundschau über die aktuelle Hartz-IV-Überlegung:
http://www.fr-online.de/politik/erst-fuenf–dann-nochmal-drei-euro/-/1472596/7206950/-/index.html#commentsRoot
Quelle vgl.: [1] Alexander Wernecke: Biologismus und ideologischer Klassenkampf. Dietz Verlag Berlin 1976. Hier: Der Sozialdarwinismus – Ideologie der Bourgeoisie.
18.02.2011, Reinhold Schramm