Es gibt keine Alternative zum Sozialismus
Interview mit Ioannis Eleftheridis über die aktuellen Kämpfe in Griechenland, die kapitalistische Krise und die studentische Bewegung (vollständig unter: http://www.kjoe.at)
Griechenland hat in den vergangenen Jahren eine Neuverschuldungsrate von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes angehäuft. In der Eurozone sind aber nur maximal drei Prozent erlaubt. Jetzt sind auch die Währungshüter der EU beunruhigt. Wie konnte es so weit kommen?
Griechenlands ökonomische Probleme resultieren im Allgemeinen aus seiner Position in der EU und im internationalen kapitalistischen System. In Griechenland waren es vor allem Jahre und Jahrzehnte der unternehmerfreundlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Staatseinnahmen erodieren ließen. Politiker der beiden großen Parteien PASOK und Nea Dimokratia sind sich einig darin, dass das niedrige Lohnniveau und die niedrigen Unternehmenssteuern Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands sind. In den letzten Jahren konnten transnationale Banken und Konzerne in Griechenland unbehelligt von staatlichen Steuerbescheiden Profite von mehreren Hundert Milliarden Euro generieren. Aufgrund der niedrigen Löhne bringt natürlich auch deren Besteuerung nicht viel ein. Nicht Griechenland ist arm: Nur die große Mehrheit der Bevölkerung ist es. Eng damit zusammen hängt die von den herrschenden Parteien verbreitete Ideologie von der „Einbahnstraße Europa“. Zur Europäischen Union und zum Euro, also: zur ökonomischen Unterordnung unter die Kernländer der EU und ihr Kapital, gebe es demnach keine Alternative. Dass die EU als Europa des Kapitals, als imperialistisches und arbeitnehmerfeindliches Projekt, entschleiert wird ist eine zentrale Aufgabe der marxistischen Linken – umso mehr, da Parteien wie die deutsche Linkspartei, die KPÖ oder das Wahlbündnis SYRIZA in Griechenland im linken Gewand dieselbe Pro-EU-Politik betreiben wie die Regierungen. […]
Was bedeutet die explodierende Staatsverschuldung für die Menschen in Griechenland?
Es gibt zwei mögliche Richtungen: Entweder die Regierungsparteien und Arbeitgeberverbände führen ihre Großoffensive auf den Preis der Arbeitskraft fort und haben Erfolg damit. In diesem Fall würde der Lebensstandard noch weiter sinken und die Arbeitslosigkeit würde weiter steigen. Betroffen wären vor allem junge Menschen, Arbeiter und Angestellte und die Migranten, die in Griechenland ohnehin oft eher wie Vieh als wie Menschen behandelt werden. Die andere Möglichkeit wäre, dass alle Opfer des Systems an der Seite der Arbeiterbewegung erfolgreich Widerstand gegen die staatliche Krisenbewältigung und Umverteilung von unten nach oben leisten. In diesem Fall müssten alle Beschäftigten sich vereinen und ihren Lebensstandard verteidigen. Die Grundlagen einer solchen Politik im Interesse der Massen sind in den letzten Monaten gelegt worden.
Anfang Februar gingen hunderttausende Griechen zu gemeinsamen Kämpfen aller Arbeitenden auf die Straßen um sich gegen antisoziale Sparmaßnahmen zu wehren. Wie sieht es aktuell bezüglich solcher Kämpfe in Griechenland aus?
Griechenland hat im Vergleich zu anderen EU-Ländern aus der Sicht des Kapitals einen großen Nachteil: Es hat eine starke, konsequente und kampferprobte Kommunistische Partei, die KKE. Anders als etwa die „kommunistischen“ Parteien Frankreichs, Spaniens, Österreichs oder Italiens hat die KKE den Weg der Revolution und des Sozialismus nie verlassen. Der Dachverband der griechischen Gewerkschaften dagegen, die GSEE, dient im Großen und Ganzen den Interessen des Kapitals. Das Besondere in Griechenland ist aber, dass es außer dem PASOK-dominierten Dachverband auch eine sehr starke und schnell erstarkende Opposition gibt: die PAME (übersetzt etwa: Kampffront aller Arbeiter). PAME ist keine rein kommunistische Gewerkschaft, aber eine klassenkämpferische. Viele PAME-Aktivisten sind Kommunisten, aber auch viele andere Werktätige, die sich die Zumutungen des Kapitalismus nicht gefallen lassen wollen, sind dabei. Strategisches Ziel von sowohl KKE als auch PAME ist die Einheit der Arbeiterklasse im Kampf für ein besseres Leben, das nach Meinung der KKE nur in einer sozialistischen Gesellschaft voll verwirklicht werden kann. Ein Beispiel: Als marxistisch-leninistische Partei ist die KKE natürlich dem Internationalismus verpflichtet. Die empörenden Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrzahl der Immigranten sind ein Arbeitsschwerpunkt von KKE und PAME. So wird versucht, eine Solidarisierung aller Arbeiter in Griechenland zu erreichen. Die Erfolge in der letzten Zeit sind beachtlich und sollten der revolutionären Linken in ganz Europa zum Bezugspunkt werden. […]
Was bedeutet das griechische „Verschuldungsproblem” für die EU insgesamt?
Der griechische Staat hat ein Problem, aber es wird in seinem Ausmaß übertrieben. Die vorherrschenden Darstellungen haben meistens eher den Charakter von Propaganda als von seriösen Kommentaren. Es gibt Staaten mit einer weitaus höheren Verschuldung als Griechenland. […] Das momentane Theater hat meines Erachtens zum Ziel, durch einen weiteren Angriff auf die Rechte der Arbeiter die zivilen öffentlichen Staatsausgaben zu kürzen. Griechenland ist dabei ein vermeintlich einfaches Ziel, es wird aber nicht dabei bleiben: Auch andere Länder an der Peripherie der EU könnten bald in den Würgegriff geraten. In den vergangenen Jahrzehnten war die Erpressung durch Staatsschulden immer das Mittel, wie der Internationale Währungsfonds Länder der Dritten Welt zum Abbau von Schutzbarrieren für die eigene Wirtschaft und Bevölkerung gezwungen hat. Als sich Jugoslawien geweigert hat, den Konditionen des IWF (in der zweiten Hälfte der 80er) und denen der EU (in den 90ern unter Milosevic) nachzukommen, wurde es wenig später von der NATO bombardiert – natürlich unter dem Vorwand, einen angeblichen „Völkermord“ zu verhindern, der ja nachweislich zu diesem Zeitpunkt nicht mal ansatzweise stattfand. Bewusste Verzerrungen im Bezug auf die Finanzen eines Staates sind auch nichts Neues: Die allseits geglaubte Lüge vom „Staatsbankrott“ der DDR geistert ja schon seit zwei Jahrzehnten durch die deutsche Medienlandschaft. Damals sollte die Dramatisierung der ökonomischen Schwierigkeiten der DDR dazu dienen, die katastrophalen Auswirkungen der „Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion“ mit der BRD zu kaschieren und der DDR in die Schuhe zu schieben. Außerdem konnten so, wie jetzt in Griechenland, massive Einschnitte in die Rechte der Werktätigen durchgeführt werden. […]
Wie kann man jetzt handeln? Welche Forderungen sind deines Erachtens am wichtigsten um den Zumutungen der kapitalistischen Verwertungslogik zu begegnen?
Man muss natürlich unterscheiden zwischen begrenzten, taktischen Nahzielen und der strategischen Orientierung. Die Strategie darf sich nicht auf das Anvisieren von Reformen beschränken, denn der Grund für Armut, Kriege, Krisen, Rassismus, Umweltverschmutzung und vieles mehr ist die Logik des Kapitalismus selbst: ein System, das darauf beruht, aus Geld mehr Geld zu machen. Dafür ist die aktuelle Krise nur eine von vielen Bestätigungen. Taktisch kann und muss man meines Erachtens die Rechte und den Lebensstandard der lohnabhängigen Massen verteidigen und ausbauen. Dafür wäre es notwendig, einen Stopp der Umverteilung von unten nach oben zu erzwingen, die Krisenlasten die Banken und Konzerne tragen lassen, statt Abbau des Normalarbeitsverhältnisses und der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich fordern usw. […] Dass aber, selbst wenn diese Ziele erreicht werden, nicht alles getan ist und das grundlegende Problem der Kapitalismus selbst ist, darf man dabei nie aus dem Auge verlieren. In den Verlauf dieser Kämpfe die sozialistische Perspektive einzubringen, ist Aufgabe der Kommunisten dabei.
Du bist in der Marxistischen Aktion Tübingen organisiert. Worin siehst du den Zweck der Organisation?
Wenn ich davon spreche, dass die Kommunisten sich in Kämpfe einmischen müssen, stellt sich natürlich die Frage, was zu tun ist, wenn es in einem Land keine organisierte kommunistische Bewegung gibt. Das ist in Deutschland leider mehr oder weniger der Fall. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ist politisch marginal, überaltert und neigt immer mehr zu offen sozialdemokratischen Positionen. Alle anderen bundesweiten Organisationen mit marxistischem Anspruch sind noch irrelevanter und machen meines Erachtens schwere praktische Fehler. Die Marxistische Aktion Tübingen ist keine Partei, aber eine Organisation zum Aufbau einer kommunistischen Bewegung vor Ort. Ich bin der Meinung, dass es über kurz oder lang allerdings um die Bildung einer kommunistischen Partei in Deutschland gehen muss. […]
Ioannis Eleftheridis ist Politikwissenschaftler und Aktivist der Marxistischen Aktion Tübingen