Der Treibstoff geht aus
Frankreichs Gewerkschaften führen einen verzweifelten Kampf gegen Hollandes »Reform« des Arbeitsmarktes. Generalstreik angekündigt
Von Hansgeorg Hermann, Paris
Widerstand gegen Regierungspläne: Ein Gewerkschafter blockiert die Raffinerie in Douchy-les-Mines (24.5.2016)
Foto: EPA/THIBAULT VANDERMERSCH/dpa – Bildfunk
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Frankreich »im Krieg« – mal wieder. Diesmal sind es nicht die »Terroristen«, die nach Meinung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Manuel Valls und seines schwächelnden Präsidenten François Hollande die Nation bedrohen, sondern die eigene Klientel. Die Millionen Linkswähler also, die 2012 den Rechtskonservativen Nicolas Sarkozy aus dem Amt jagten und sich vom Parti Socialiste (PS) eine gegen den Turbokapitalismus gerichtete Politik erwarteten. Nun, ein Jahr vor der nächsten Wahl, müssen sie feststellen, dass sie sich schwer geirrt haben. Hollande und Valls haben mit Hilfe des Verfassungsartikels 49.3 – ohne das Parlament zu bemühen – eine »Arbeitsmarktreform« nach dem Vorbild von Gerhard Schröders »Agenda 2010« beschlossen, die den Unternehmern alles gibt und den Arbeitern viel nimmt. Es wird gestreikt.
Die 700.000 Mitglieder starke Gewerkschaft CGT steht mit ihrem Vorsitzenden Philippe Martinez an der Spitze des Widerstands. Seit Tagen werden nicht nur der öffentliche Nah- und Fernverkehr, sondern vor allem die Energielieferanten des Landes bestreikt: Raffinerien und Atomkraftwerke. Gegen die Blockierer hat Valls Spezialeinheiten der Polizei in den Einsatz geschickt. Am Mittwoch morgen wurde, wie die CGT erklärte, die Raffinerie Douchy-les-Mines »gewaltlos« freigegeben. Die 80 Arbeiter, die das Werk besetzt hatten, zogen zunächst friedlich ab. Das soll nicht so bleiben. Für den heutigen Donnerstag haben Martinez und seine Kollegen zu einem neuerlichen Generalstreik aufgerufen, der Widerstand gegen das neue Gesetz und die verantwortliche Regierung soll »so stark wie möglich« aufgebaut werden.
Verschnaufpause: Arbeiter blockieren die Raffinerie in Donges (25.5.2016)
Foto: REUTERS/Stephane Mahe
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Bestreikt wird derzeit auch der Atommeiler Nogent-sur-Seine, der rund ein Drittel des Stroms für die Île-de-France mit der Hauptstadt Paris liefert. Bürgermeister und Präfekten erwarten in den kommenden Tagen Engpässe bei der Elektrizitätsversorgung. Von den 58 AKW können nach Angaben der Regierung zumindest zwölf nicht abgeschaltet werden, darunter die für das Militär wichtigen.
Rund 2.500 der 12.000 französischen Tankstellen sind nach Angaben des Fernsehkanals i-Tele derzeit in Not und können ihre Kundschaft nur noch unzulänglich mit Treibstoff versorgen. Die Besitzer sind dazu übergegangen, Benzin nur noch bis zu einem Gegenwert von maximal 40 Euro zu zapfen. Die zu erwartenden Engpässe im Einzelhandel haben bereits zu Hamsterkäufen geführt. Die großen Städte, vor allem Paris, bereiten sich auf Tage mit stark reduziertem Warenangebot vor.
Staatsgewalt gegen Arbeiterproteste: Spezialeinheiten der Polizei gegen gegen die Streikenden in Douchy-les-Mines in Nordfrankreich vor (25.5.2016)
Foto: EPA/THIBAULT VANDERMERSCH/dpa – Bildfunk
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Ministerpräsident Valls hat unterdessen die Gewerkschaften als Schuldige für die zunehmenden Probleme in der Energie- und Warenversorgung ausgemacht. Die CGT sei dafür verantwortlich. Dass sowohl Gewerkschaften als auch Demonstranten in den vergangenen Wochen darauf hingewiesen haben, der neue Code du travail sei nicht einmal durch das Parlament gegangen, sondern in »höchst undemokratischer Weise den Lohnabhängigen aufgezwungen worden«, wie es CGT-Vormann Martinez ausdrückte, erwähnte Valls nicht.
Dass die »Reform« ein knappes Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl mit Gewalt durchgedrückt werden soll, kann als Hinweis darauf gelten, dass Hollande vermutlich nicht erneut als Kandidat antreten will. An der Spitze der sozialdemokratischen Bewerber stehen daher mit Valls und dem derzeitigen Wirtschafts- und Industrieminister Emmanuel Macron zwei überzeugte Wirtschaftsliberale.
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