Sexarbeit ist Arbeit – Gut gemeint, aber schlecht gedacht. Ein proletarischer Standpunkt

von [Pseudonym]

Ein häufig an uns Marxisten-Leninisten gerichteter Vorwurf seitens der emanzipierten Linken oder solcher, die sich dafür halten, ist ein mangelndes Interesse an Geschlechterthemen. Aufgrund vieler verbürgerlichten Ansichten innerhalb “dieser bunten Linken”, halte ich es für dringend geboten diesen idealistischen Vorstellungen einen materialistischen Standpunkt entgegenzustellen. Mein persönlicher Anlass für diesen Artikel war ein Artikel in der Feminismusbeilage der jungen Welt vom 16. November 2012, der bei mir großes Unverständnis auslöste.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2012/11-16/006.php

Im Wesentlichen wird in diesem eine Anerkennung von Prostitution als Arbeit wie jede andere auch gefordert und ein Ende der Entrechtung der Prostituierten gefordert. Inwieweit Lohnarbeit im Kapitalismus eine anzustrebende Normalität ist, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Dazu später.

Mir ist unverständlich, warum heutige Feministinnen eine gesellschaftliche Anerkennung der Prostitution als normale Arbeit fordern. Zunächst sei einmal gesagt, dass es selbstverständlich achtenswert ist, die sog. „Zwangsprostitution“, also den Menschenhandel, abzuschaffen und für die Opfer solcher kriminellen Schiebereien Bürgerrechte zu fordern. Ebenso verständlich ist das Ringen nach Anerkennung der Frauen, die einer solchen Tätigkeit nachgehen müssen, weniger hingegen die Anerkennung dessen, was sie tun müssen.

Schließlich ist es fraglich, ob es sich bei Prostitution aus Geldnöten, einer Folge von je nach Region für Frauen nicht existierender Lohnarbeit die zum leben reicht, wirklich um „Freiwilligkeit“ handelt, die im diametralen Gegensatz zur Zwangsprostitution steht. Gegen finanzielle Nöte, die Frauen zwingen in letzter Verzweiflung ihren Körper zu verkaufen, hilft selbstverständlich kein bürgerliches Gesetz. Insbesondere deswegen nicht, weil die bürgerlich-kapitalistische und auch die vorherigen Ausbeuterordnungen die ökonomischen Zwänge zur Prostitution überhaupt erst ermöglichen.

Was würde sich nun daran ändern, wenn – wie von „modernen“ Feministinnen gefordert – Prostitution in Sexarbeit umdeklariert wird? Es liegt nicht sonderlich fern anzunehmen, dass sich dadurch der Druck auf die Frauen sogar noch steigert, sich in dieses besondere Ausbeutungsverhältnis zu begeben, da gemäß dieser „modernen“ Feministinnen Sexarbeit eine Arbeit sei wie jede andere auch. Dann käme neben dem ohnehin schon starken ökonomischen Zwang auch noch ein moralischer hinzu, der die Frauen noch stärker erpressbar macht.

Es fällt nicht sonderlich schwer sich vorzustellen, wie künftig Arge-Sachbearbeiter Sexarbeit als „zumutbare Beschäftigung“ von Hartz IV Empfängerinnen einfordern und im Falle eines Ablehnens mit Sanktionen drohen. In Einzelfällen ist dies bereits geschehen, durch Anerkennung von Prostitution als Sexarbeit könnte es zur Regel werden. Unter Studentinnen ist dieses Phänomen bereits verbreitet. Studiengebühren und Bafög Kürzungen haben bereits ihr übriges getan.

Angesichts lausig bezahlter Studentenjobs für Studenten aus Arbeiterfamilien kann sich der BRD-Staat durchaus über diese Steilvorlage für noch mehr Kürzungen bedanken, wenn diese Tätigkeiten tatsächlich einmal gesellschaftlich anerkannt werden sollten, was allerdings aufgrund des erniedrigten Verhältnis der Frau in dieser Tätigkeit ohnehin rein hypothetisch bleibt.

Die älteste deutsche Hurenvereinigung HYDRA in Berlin begleitet die Szene seit rund 25 Jahren. Die Mitarbeiterin Marion Detlefs erzählt, dass es in Berlin Bordelle gibt, die fast ausschließlich mit Studentinnen besetzt sind.

http://www.stuz.de/nutz-stuz/studentische-prostitution-erst-das-studium-dann-die-moral-stuz-72-okt-05

Das Ausbeutungsverhältnis bleibt erhalten, auch wenn anstelle eines Zuhälters, der über die Prostituierten wacht, diese nun scheinautonom „selbstbestimmt“ ihrem Gewerbe nachgehen. Die Freier werden letztlich mehr Auswahl unter den nun anerkannten selbstständigen Prostituierten haben und können dadurch wie zu Marxens Zeiten die betroffenen Frauen wie einst die englischen Fabrikarbeiter für ein Linsengericht entlohnen. Die Prostituierten werden „selbstbestimmt“ um jeden „Kunden“ durch niedrigere Entlohnung oder niedrigere Hemmschwelle kämpfen müssen, denn nebenan wartet schon die ebenso verzweifelte Konkurrenz, die für kleineres Geld den Perversionen der Freier offener gegenüber steht.

Gerne wird von Seiten der bürgerlich, emanzipierten Prostitutionsbefürworter argumentiert, dass Frauen dieser Beruf Spaß mache und diese sich kein Mitleid wünschten. Wie repräsentativ dies für die Mehrheit der betroffenen Frauen ist, bleibt äußerst fraglich. Zudem lässt sich leicht ausmalen, dass die auf dieses Einkommen angewiesenen Frauen wohl kaum öffentlich ein negatives Bild von ihrem Broterwerb zeichnen, der potenzielle „Kunden“ abschrecken könnte und ihre ökonomische Lage weiter verschlechtern würde.

Es ist an der Zeit, dass Feministinnen und die Frauenbewegung sich auf ihre proletarischen Wurzeln und einen ebensolchen Klassenstandpunkt rückbesinnen. Anders als bürgerliche Befürworter (eingeschlossen sich links fühlende) und Ablehner der Prostitution uns durch ihre idealistischen Vorstellungen glauben machen wollen, sind weder Entstehung noch Lösung einer der rohsten Formen der Frauenknechtschaft mit einer Änderung der Moralvorstellungen zu lösen.

Der Schlüssel für eine Verbesserung der rechtlichen Situation der Prostituierten sei eine »sozialethische Debatte«, eine Wandlung des gesellschaftlichen Urteils über diese Dienstleistungen, so Anwältin von Galen. (junge Welt vom 16.11.2012)

Auch eine formelle Änderung durch das Verschwinden des Zuhälters und Auflösung in Scheinautonomität hält die Verhältnisse am Leben. Aufgabe der Frauenbewegung ist es den Schleier der Verhältnisse zu lüften, die Wurzeln der Frauenknechtschaft in den ökonomischen Verhältnissen des verwesenden Kapitalismus und auch den vorherigen Ausbeuterordnungen zu entlarven. Die Unfähigkeit des Kapitalismus zu denunzieren, selbst in den von Überproduktionskrisen geplagten (BRD-Sprech: Überflussgesellschaft) imperialistischen Zentren den einfachsten Bedürfnissen der arbeitenden Menschen gerecht zu werden. Anders als die „modernen“ Feministinnen, die in altbekannter bürgerlicher Manier (oder Zynismus?) die Erniedrigung und Knechtschaft der Frauen in eine Art selbstbestimmte, emanzipierte Kuschelwiese vernebeln wollen.

Daß Sexarbeit weltweit entkriminalisiert wird und die Frauen und auch Männer der Branche endlich die Anerkennung bekommen, die sie für ihre gesellschaftlich höchst wichtige Arbeit verdienen, blieb die wichtigste Forderung in Bochum. (ebenda)

Der Kampf für die Rechte der betroffenen Frauen kann nur verbunden sein mit dem Kampf für die Eliminierung der ökonomischen Wurzeln, also des Privateigentums, das es überhaupt ermöglicht Menschen in Ware zu “verwandeln”. Der Kampf für die sozialistische Gesellschaft, in der Frauen Kraft ihrer Unabhängigkeit durch das in Wort und Tat existierende Recht auf Arbeit, Brot, Wohnung, Bildung, Kultur etc. für Möchtegern-Freier nur noch ein müdes Lächeln oder eine Ohrfeige übrig haben.

Zitate (Quellen): Studentische Prostition: Erst das Studium, dann die Moral (STUZ 72, Okt. 05) & Willkommen in Europa? von Mareen Heyen

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