Der Verfassungsschutz. Das System der „Inneren Sicherheit“ im staatsmonopolistischen Kapitalismus.

[Auszug]

»Die Gesamtzielsetzung des Verfassungsschutzes, dessen Praktiken für die betroffenen Bürger
einschneidende Auswirkungen – von der Rufschädigung bis zur Vernichtung der
wirtschaftlichen Existenz – zur Folge haben, besteht darin, die aktuelle und die potentielle
antimonopolistische demokratische Opposition einzuschüchtern sowie ein Klima des
Konformitätsdrucks und der Angst zu erzeugen.«

»Beim Verfassungsschutz als einem dieser Geheimdienste der BRD schreibt die für seine
Tätigkeit maßgebliche rechtliche Grundlage – das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes
und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 – zwar
vor, dass ihm nur „die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstiger
Unterlagen“ zukommt. In der Realität jedoch wurde diese Aufgabenbeschränkung von Anfang
an systematisch unterlaufen. –


Der Verfassungsschutz hat das Grundgesetz unaufhörlich ausgehöhlt

Bis heute ist auch nicht bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz das Grundgesetz jemals
vor den nicht mehr zu überblickenden Maßnahmen staatlicher Amtsträger und Organe geschützt

hätte, mit denen in ihm enthaltene demokratischer Prinzipien und Rechte unaufhörlich und mit Vorbedacht ausgehöhlt bzw. beiseite geschoben wurden. –

Als eine Institution reaktionären Zuschnitts, als die sich der Verfassungsschutz sehr schnell
herausstellte, identifiziert er die von ihm angeblich zu schützende „freiheitlich demokratische
Grundordnung“ mit den bestehenden staatsmonopolistischen Herrschaftsverhältnissen. In seiner
Sicht erscheint demzufolge schon als Verfassungsfeind, wer auf dem Boden des Grundgesetzes
(und in ihm verkündete Rechte und Freiheiten wahrnehmend) Positionen gegen diese
Herrschaftsverhältnisse und für demokratische Veränderungen bezieht.
Einem von diesen Positionen getragenen politischen Wirken wird von vornherein und
schlechthin die Absicht verfassungsfeindlicher Bestrebungen unterstellt – ganz im Sinne der von
dem früheren Generalbundesanwalt Martin verkündeten Feindbildsicht der in der
Bundesrepublik Deutschland herrschenden Kräfte, die er wie folgt formuliert hat: „Gefahr im
Innern droht nicht nur von politischen Gewalttätern, sondern auch – und nicht weniger – von
solchen ,Systemüberwindern’, die eine radikale Veränderung unserer Verfassungs- und
Gesellschaftsordnung anstreben, ohne in naher Zukunft Gewalt oder andere ungesetzliche Mittel
in massiver Form einsetzen zu wollen … Dieser revolutionäre Prozess ist auf seine Art
gefährlicher als Umsturzversuche mit Gewalt, weil er lautlos, unmessbar und von der
Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet vor sich geht. Gegen ihn gibt es keinen Polizeischutz
und keinen Strafprozess, ganz abgesehen davon, dass auch die Polizei und die Justiz der Gefahr
der Unterwanderung nicht völlig entrückt sind.“ [1/44]

Mit dem Verfassungsschutzänderungsgesetz vom 7. August 1972, dem das 31. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. Juli 1972 vorausging (und im gegebenen Zusammenhang Art. 73, Ziff. 10, Buchst. b betrifft), erhielt der Verfassungsschutz offiziell Aufgabengebietezugewiesen, die er auch ohne eine solche „Rechts“grundlage schon vorher für sich in Anspruchhatte, wurde er zu Handlungen ermächtigt, die er – ebenso illegal – längst praktizierte. –

So wurden vor al lem die Ausländerüberwachung sowie der Einsatz
„nachrichtendienstlicher Mittel“ nachträglich legalisiert und der Verfassungsschutz als
Staatsschutz anerkannt.

Überwachung und Bespitzelung von Demokraten

Aktionsrichtungen des Verfassungsschutzes, hauptsächlichste Personenkreise, die von ihm zur
Überwachung und Bespitzelung erfasst werden, und Methoden seines Agierens lassen sich an
den bekannt gewordenen und zuweilen wegen ihres skandalösen Charakters auch vor einer
breiteren Öffentlichkeit nicht zu verbergenden Tatsachen weit eher erkennen als an den bewusst
vage gehaltenen Formulierungen in den einschlägigen Gesetzen (in den Ländern sind ebenfalls
Verfassungsschutzgesetze verabschiedet worden). So lässt sich – skizzenhaft und exemplarisch –
folgendes feststellen:

Erstens: Die Überwachung durch den Verfassungsschutz richtet sich vorrangig gegen die
demokratischen Kräfte, gegen Angehörige, Repräsentanten und Organisationen der Arbeiterund
demokratischen Bewegung. {…} Auch Betriebsräte unterliegen einer ganz
systematischen Überwachung. Für die Betriebsräte-Überwachung hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz in einem Schreiben vom 4. April 1978 hinsichtlich der in Frage kommenden
Betriebe Kriterien festgelegt, darunter das Kriterium „alle Betriebe mit mehr als 1.000
Beschäftigten“ [2/45].

Faschisten begegnet der Verfassungsschutz mit Toleranz

Auf dem rechten Auge hingegen ist der Verfassungsschutz blind. Faschistischen,
neofaschistischen, revanchistischen und ähnlichen Organisationen und Aktivitäten begegnet er
mit offenkundiger Toleranz. Er setzt sich ihnen gegenüber nur in Bewegung, wenn er dies unter
dem Druck der öffentlichen Meinung nicht mehr vermeiden kann oder wenn ein zeitweiliges
Interesse der Monopolbourgeoisie es erfordert, diesem Reservepotential seiner
Herrschaftssicherung ein Zeichen für punktuelle oder vorübergehende „Zurückhaltung“
zu setzen. –

In den jährlichen Verfassungsschutzberichten des Bundesministeriums des Innern erscheint
denn auch der Rechtsextremismus absolut verniedlicht; hingegen wird mit diesen Berichten
gegen jegliches von demokratischen Positionen ausgehendes kritisches politisches Bewusstsein
Stimmung gemacht, werden dessen Träger diffamiert sowie als kriminell verunglimpft.

Infiltration und Einsatz von Agents provocateurs

Zweitens: Dem Verfassungsschutz obliegt die Infiltration der Arbeiter- und anderen
demokratischen Organisationen und der Einsatz von Agents provocateurs vor allem bei
Aktionen demokratischer Kräfte, die mit der Verfassung im Einklang stehen. –

In dieser Aufgabe verkörpern sich zugleich Methoden, deren sich der Verfassungsschutz im
Ensemble jener Praktiken bedient, die beschönigend als „aktive Aufklärungsarbeit“ bezeichnet
werden.

Ein eklatantes Beispiel für den Einsatz von Agents provocateurs, durch die bewirkt
werden sollte, eine politische Gruppe in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, waren die
Vorgänge im Zusammenhang mit den so genannten Bremer Krawallen im Mai 1980: „Bei einer
Vorbereitungsveranstaltung für die Demonstration gegen die öffentliche Rekrutenvereidigung
am 6. Mai waren offenbar ein Spitzel des MAD, der sich als ,KBW-Soldat’ ausgab, wie auch ein
V-Mann des Verfassungsschutzes anwesend, der sich als Juso ausgab. Die Untersuchungen des
Bundestagsausschusses zielten freilich kaum auf die Aufklärung der Rolle der Geheimdienste
bei der Vorbereitung der Bremer Demonstration und der Gewalttätigkeiten an ihrem Rande,
dafür aber um so mehr auf die Diskreditierung des ,Volksfrontbündnisses’ derjenigen
politischen Kräfte, die der Rüstungspolitik der Bundesregierung kritisch gegenüberstehen, wie
auch auf die Legitimation des Ausbaus der ,Staatsschutzbehörden’“.« [3/46]

Subversive Verfassungsschutz-Aktionen gegen andere Staaten

Drittens: Unter dem Deckmantel so genannter Spionageabwehr betreibt der Verfassungsschutz
Geheimnisausforschung gegenüber anderen Staaten. In die Bundesrepublik einreisende Bürger
der [liquidierten] DDR wurden überwacht, wobei versucht wurde, von ihnen gesellschaftliche
Geheimnisse der DDR oder andere Informationen in Erfahrung zu bringen. –

»Der Verfassungsschutz engagiert sich auch in subversiven Aktionen, beispielsweise „bei
[historischen] Grenzprovokationen gegen die DDR …, bei denen man sich in einer gefährlichen

Weise sogar anmaßt(e), Einfluss auf die internationale politische Lage auszuüben“. [4/47]

Verfassungsschutz und „Geheimnisträger“

Viertens: Im Bereich des so genannten personellen und materiellen vorbeugenden
Geheimnisschutzes sind dem Verfassungsschutz umfassende Aufgaben und Befugnisse
übertragen. Damit sind ihm „mehrere Millionen Geheimnisträger in zum militärischindustriellen
Komplex gehörenden Institutionen … ausgeliefert. Auch der Geheimschutz
im zivilen Sektor wurde rasch ausgebaut, von der Verschlusssachenregelung des
Verfassungsschutz-Apparates sind allein etwa 880.000 Beamte und 752.000 Angestellte im
höheren, gehobenen, mittleren und einfachen Staats- und kommunalen Dienst direkt oder
indirekt betroffen.“ [5/48]

Die Zentrale des Verfassungsschutzes ist das dem Bundesministerium des Innern nachgeordnete
Bundesamt für Verfassungsschutz, während in den Ländern Verfassungsschutzbehörden
(Landesämter für Verfassungsschutz bzw. spezielle Abteilungen bei den Innenministerien)
bestehen. –

Faktisch hat der Bundesinnenminister Weisungsrecht gegenüber dem gesamten
Verfassungsschutzapparat. Dies wird nicht zuletzt an der Befugnis des Bundesamtes deutlich,
in den Ländern auch selbständig tätig zu werden.
Schätzungen zufolge gibt es etwa 3.700 hauptamtliche Kräfte [-1985-] des
Verfassungsschutzes und ein Netz von rund 31.000 V-(„Vertrauens-„)Leuten. [6/49]
Verfassungsschutz und Apparat der Monopolverbände
Der Verfassungsschutz arbeitet mit den anderen Geheimdiensten, dem
Bundeskriminalamt und Staatsschutzabteilungen bei den Landeskriminalämtern eng
zusammen [7/50] und stützt sich in seiner Tätigkeit auf den Apparat der
Monopolverbände. –

Auf der Grundlage der Verfassungsschutzgesetze einiger Länder, die die
Verfassungsschutzbehörden ermächtigt haben, ihre Kenntnisse auch an andere als
staatliche Stellen weiterzugeben, kooperiert er beispielsweise eng mit dem Werkschutz,
dem privaten Polizeiapparat der Unternehmer. –

Über die rechtliche Konstruktion der Amtshilfe ist er mit dem gesamten Staatsapparat der
Bundesrepublik Deutschland verbunden. –

In mehreren Ländern sind „Beamte, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes
zur unaufgeforderten Übermittlung von für den Verfassungsschutz bedeutsamen
Bestrebungen und Tatschen verpflichtet“ [8/51], unterliegen also von Gesetzes wegen
einem Denunziationsgebot.«
Der Anschein der „demokratisch legitimierten“ Geheimdienste
»Während die zunehmende Machtausdehnung der Geheimdienste zu den unbestreitbaren
Erscheinungen der gesellschaftlichen Realität in der Bundesrepublik Deutschland gehört,
ist die parlamentarische Kontrolle über sie eine Farce.« –

»Minigremien mit besonders ausgewählten Mitgliedern {…} sind nur das Scheinbild einer
Kontrolle. Damit aber sind sie geeignet, das in der Bevölkerung weit verbreitete Misstrauen
gegen diese Dienste zu zerstreuen und die Empörung gegen ihre demokratiefeindlichen und
friedensfeindlichen Aktivitäten im Zaune zu halten. Der Anschein der auf diese Weise
„demokratisch legitimierten“ Geheimdienste trägt dazu bei, deren Praktiken vor der
Öffentlichkeit zu entlasten und jede Kritik an ihnen selbst noch als „verfassungsfeindlich“ zu
denunzieren.«

[Ein modifizierter Auszug.]

Anmerkungen
1/44 L. Martin, „Wie steht es mit unserem Staatsschutz?“, Juristenzeitung (Tübingen), 1975/10,
S. 313.
2/45 Wortlaut in: M. Kutscha, „Überwachungsaktivitäten des Verfassungsschutzes im
betrieblichen Bereich“ , VDJ-Forum (Frankfurt/Main), 1980/1-2, S. 9.
3/46 Zitiert nach: „der Verfassungsschutz“, in: Im Staat der „Inneren Sicherheit“, a.a.O., S. 80f.
4/47 a. a. O., S. 74
5/48 Der Staat im staatsmonopolistischen Kapitalismus der Bundesrepublik, a. a. O., S. 193.
6/49 Zu den Zahlenangaben vgl. a. a. O., S. 194.
7/50 Es bestehen interne „Richtlinien über die zusammenarbeit von Verfassungsschutz und
Nachrichtendiensten mit den Strafverfolgungsbehörden“, die in ihrer Fassung vom 23.07.1973
von der Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 07.11.1979 (S. 5) veröffentlicht werden
konnten.
8/51 Der Staat im staatsmonopolistischen Kapitalismus der Bundesrepublik, a. a. O., S. 194.
Quelle: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Geschichte und
Gegenwart. Studien zum politischen System des Imperialismus. Staatsverlag Berlin 1985.
Vgl.: 4.2. Der Aggressions- und Repressionsapparat.
05.12.2011, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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